„Das Gespensterschloss“ von Stanislaw Moniuszko in Wiesbaden: Eine polnische Teilung

Effektvolles politisches Musiktheater bei den Maifestspielen.
Politik auf der Opernbühne, oft gesucht, nicht selten forciert, ziemlich selten punktgenau, hier aber: leichthändig und ergreifend. Die Pointe: böse und elegant. Vorab tritt die Regisseurin vor den Vorhang und erklärt ein paar der „Zeichen“, wie sie sagt. In Polen verstehe sie jeder und wisse, dass sich die Bananen auf den Protest gegen die Entfernung von Natalia LLs Fotoserie „Consumer Art“ (1973) aus dem Nationalmuseum in Warschau beziehen (2019, die Abbildungen der eine Banane essenden Konzeptkünstlerin seien zu lasziv), die dunklen Regenschirme und die Kleiderbügel auf das dramatisch verschärfte polnische Abtreibungsrecht (die Trauer darüber und ein Gegenstand, der bei illegalen Abtreibungen eine furchtbare Rolle spielt). Das muss einem aber alles erst im dritten Akt wieder einfallen, wenn es wahrlich gespenstisch wird im titelgebenden Gespensterschloss.
Einen Knüller in einer Produktion des Teatr Wielki in Posen hatte das Staatstheater Wiesbaden ganz zum Schluss der Maifestspiele im Programm, auf deutschen Spielplänen unvorhanden, im Nachbarland hingegen entwickelte sich Stanislaw Moniuszkos „Straszny Dwór“ seit der Uraufführung 1865 zum Nationalhit. Als solcher wurde die Oper immer wieder verboten oder behindert, im seinerzeit geteilten Polen ohnehin, aber auch unter dem Diktat der Sowjetunion funktionierte das Werk als patriotischer Mutmacher. Umso frecher, dass es auch in der Inszenierung der Italienerin Ilaria Lanzino von 2021 um Verbote geht, nun um ganz andere.
Alptraum für Altvordere
Leif-Erik Heines Ausstattung feiert zunächst aber das Nationalopernhafte. Soldaten in honetten Rüstungen bieten schöne Männerchöre – das sängerische Niveau ist gut, im Graben bietet Marco Guidarini mit dem Orchester des Teatr Wielki eine effektvolle, reiche Nummer nach der anderen. Die beiden Brüder, die sich aus der mannhaften Schar herausschälen, der schlanke Tenor Piotr Kalina und der vehemente Bass Rafal Korpik, schwören ewige Ehelosigkeit. Das ist so eine übliche Volte, mit der sich Theaterhelden aus einem leicht misogynen Impuls heraus sinnlos in Verlegenheit bringen. Denn im zweiten Akt haben sie den Salat und lernen zwei nette Schwestern kennen, die Sopranistin Ruslana Koval, die sich am Ende in einen regelrechten Rausch singen muss und das meistert, und ihr Mezzo-Pendant Magdalena Wilczynska-Gos. Das Schloss, in dem die beiden leben, das ist die erste Überraschung, ist das moderne Polen. Freizügige Mode, kecke Tänze, Homosexualität. Der Galan Damazy, der kernige Tenor Albert Memeti, will lieber einen jungen Mann heiraten.
Die Schwestern, die die Heiratsverweigerer nun nach Kräften mit einer Gruselnacht verhohnepipeln, rufen Banane, Regenschirm, Kleiderbügel, Regenbogenfahne auf den Plan, ein Alptraum für Erzkonservative. Während die Brüder allmählich ihre moderne Seite entdecken, wird Damazy von den eintreffenden Kumpanen der beiden erstmal kräftig zusammengeschlagen. Das geht ganz fix und nimmt den langen, mit Ballett garnierten festlichen Schluss voraus.
Auf der Bühne herrscht nun wieder Bilderbuchvolkstum. Die jungen Paare und der ebenfalls sanft modernisierte Schwiegerpapa, der in Iwano-Frankiwsk geborene Bariton Stanislaw Kuflyuk, ziehen sich derweil allmählich an die Seiten zurück. Eine Weile schauen sie noch zu, dann verlassen sie vorzeitig das Theater. Die Altvorderen bekommen es gar nicht mit. Auch ein konservatives Publikum, das nicht nach rechts und links schaut, muss das nicht zur Kenntnis nehmen und kann einfach dem robusten Tanz zuschauen. Da wird einem klar, was das heißt: gespaltene Gesellschaft.