Sieben starke Frauen in „Sur tes épaules“. Foto: Dan Aucante
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Sieben starke Frauen in „Sur tes épaules“. Foto: Dan Aucante

Staatstheater Mainz

Choreografinnen beim Tanzmainz-Festival – Sie tragen die Last und tanzen

  • Sylvia Staude
    VonSylvia Staude
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Nawal Aït Benalla und Fang Yun Lo: Das vierte Tanzmainz-Festival eröffnet mit Gruppen aus Frankreich und Taiwan.

In der Tanzausbildung überwiegen Mädchen und Frauen, aber wenn es um Leitungsfunktionen in der Sparte Tanz geht, künstlerische wie auch andere, sind Frauen gewaltig in der Minderzahl. So versucht das inzwischen vierte Tanzmainz-Festival, das jetzt zudem am Weltfrauentag startete, das Augenmerk auf Choreografinnen zu richten. Honne Dohrmann, Tanzdirektor in Mainz, fand auch das ideale Eröffnungsstück fürs Große Haus: „Sur tes épaules“, „Auf deinen Schultern“ von Nawal Aït Benalla, die zusammen mit ihrem Partner Abou Lagraa die in Frankreich beheimatete Company La Baraka leitet (Abou Lagraa übrigens tanzte einst in Rui Hortas S.O.A.P.-Ensemble, als Frankfurt noch eine großartige Tanzstadt war).

Für sieben Tänzerinnen mit unterschiedlicher Biografie, Hautfarbe, Statur hat Nawal Aït Benalla das rund einstündige „Sur tes épaules“ choreografiert. So sieht man nun Frauen in vielfältigsten Stimmungslagen, sieht zappelige, angespannte, einsame Frauen, sich stützende, tragende, gegenseitig stärkende Frauen, schwungvolle und zögernde Frauen, wütende und milde Frauen, graumäusige und strahlende Frauen. Dies mittels einer variablen Bewegungssprache, die Nuancen einfängt, die keineswegs grob und plakativ ist. Trotzdem ist „Auf deinen Schultern“ politisch gemeint und verbirgt dies auch nicht: Frauen sollten schwach und verletzlich sein dürfen, darauf besteht ein eingespielter Text, und Kostümbildnerin Charlotte Pareja kleidet das Ensemble einheitlich, quasi schwesterlich, nur die Farbe der Hosen variiert – diese Frauen sind vereint im Tragen ihrer Last.

Blick bis nach Taiwan

Auch das Tanzmainz-Festival musste wegen der Pandemie pausieren, das dritte fand schon im Frühjahr 2019 statt. Jetzt, da die Anreise aus fast allen Ecken der Welt wieder möglich ist, blickt man in Mainz zwar hauptsächlich auf Europa (wir zählen Großbritannien mit dem Scottish Dance Theatre mal dazu, die Schottinnen und Schotten wollten ja auch gar nicht brexiten), aber an zweiter Stelle stand zur Eröffnung ein Stück der Gruppe Polymer DMT um die taiwanesische Choreografin und Regisseurin Fang Yun Lo. „Unsolved“, „Ungelöst“, das im U17 gezeigt wurde, ist ein technisch hochintrikates Stück über die Erinnerungen eines jungen Mannes an ein großes Haus und seine Familie bis zu dem Zeitpunkt, an dem er aufs College geht und sich langsam löst. Das Haus, seit längerem unbewohnt, steht allerdings noch; dem Erzähler wäre es lieber, es bliebe nicht so „unsolved“.

Dieses Haus gibt es in Videoaufnahmen, gleichzeitig als detailliertes, live gefilmtes Modell. Der HipHop-Tänzer Chih Wen Chung bewegt sich vor Wänden, die fast ständig auch verschoben werden, so dass die Haus-Bilder doppelt in Bewegung sind, durch das Filmen und die Verschiebungen auf der Bühne. Da kann der Zuschauerin ein wenig schwindlig werden.

Eine teils düstere Familiengeschichte steht im Hintergrund – der Großvater wurde von den Kuomintang gefoltert, behielt es stets für sich, erklärte, er sei einst von einem Wagen gefallen –, aber sie wird lakonisch erzählt. Wir hören die Stimmen (und können die Übersetzung lesen) der noch lebenden Familienmitglieder. Die Großmutter singt ein wenig, der Vater musste Socken verkaufen, Tausende, sagt er.

Zehn Tage lang gehört das Mainzer Staatstheater mit allen seinen Spielstätten nun dem Tanz – das Publikum scheint dankbar zu strömen. Noch einige Werke von Frauen werden zu sehen sein, man möchte wetten, dass sie nicht hinter den bekannteren Männern zurückzustehen brauchen.

Staatstheater Mainz: Tanzmainz-Festival bis 19. März. www.tanzmainz.com

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