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Ballettabend „Timelessness“: Der Tanz mit Sonne, Wasser, Wind

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Von: Sylvia Staude

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Szene aus „exisTence“ von Marc Brew.
Szene aus „exisTence“ von Marc Brew. © De-Da Productions

Das Hessische Staatsballett zeigt diesmal in Wiesbaden eine Uraufführung: Marc Brews „exisTence“

Schon wieder konnte das Hessische Staatsballett eine zumindest teilweise Premiere feiern. Vom kürzlich in Darmstadt uraufgeführten Abend übernahm man fürs Große Haus in Wiesbaden Eyal Dadons „Boléro“, dazu „Timeless“ der chinesischen Choreografin Xie Xin, vor rund einem Jahr in Darmstadt uraufgeführt. Als drittes ergänzte den (mit zwei Pausen) dreistündigen Abend „exisTence“, ein Stück des australischen, in Schottland lebenden Choreografen Marc Brew. Wegen der Pandemie musste das dreiviertelstündige „exisTence“ lange auf seine Uraufführung warten.

Es geht Marc Brew darin um die sauberen Energien der Sonne, des Wassers und des Windes. Durch ein großes Bullauge bzw. riesigen Ventilator sieht man zum Beispiel Wellen, jagende Wolken (Bühne: Emma Kingsbury, Videos: Kingsbury und Eduardo Mayorga), dazu kommen furiose Lichtwechsel (Brew), Windmaschinen, in ihnen wie dichte Nebelschwaden wehende weite, zarte Röcke (erneut Kingsbury). Die Musik Angus MacRaes, der auch als Filmkomponist arbeitet, ist so nuanciert wie effektvoll, gerade im richtigen Maß zurückhaltend.

Es gibt Choreografien, von denen kaum etwas übrigbleibt, zieht man die bildmächtige, prächtige Ausstattung ab. Hier ist das glücklicherweise nicht so. Vor allem aber ist die Handschrift Marc Brews, der nach einem schweren Autounfall im Rollstuhl sitzt, wundersam wandelbar – wandelbarer als die manch eines nicht behinderten Kollegen.

Bezirzend fremd

Im Sonnenteil dominiert eine eher bedachtsam Zeichen in den Raum schreibende Bewegungssprache. Es gibt Ecken und Kanten, ohne dass der Gesamteindruck der einer Schroffheit ist. Immer wieder halten die insgesamt zehn Tänzerinnen und Tänzer kurz inne. Ein wenig erinnert das an die bedachten Variationen eines Merce Cunningham, doch anders als bei ihm wirken die Bausteine nicht zufällig gefügt. Hier wird konzentriert erbaut, präzise gereiht. Dabei kann man fast in jeder Sequenz einen Moment entdecken, der neu, der bezirzend fremd wirkt.

Diese listige Sperrigkeit geht, das Wasser ist dran, über in ein kraftvolles Wogen und Fließen. Klassisches Vokabular spielt hinein, der Schwung wird größer, eine stärkere Verzahnung der Kleingruppen findet statt. Und schließlich wird durch das Hochfahren der Ventilatoren noch mehr Bewegungsfluss erzeugt, man könnte auch sagen eine Bewegung (der leichte Stoff) um die Bewegung (die Körper) herum. Der Eindruck von herrlicher Leichtfüßigkeit, ja, von Schweben stellt sich ein. Unter der Leitung Holger Reinhardts begleitet das Wiesbadener Staatsorchester alle drei Stücke differenziert und umsichtig.

Xie Xins meditatives „Timeless“ in ihrer gerundeten, harmonischen Bewegungssprache eröffnet sinnvollerweise den Abend. Eyal Dadons mitreißender „Boléro“ beendet ihn – ein wenig umgearbeitet ist der doppelte Ravel fürs Wiesbadener Haus.

Wer die Choreografie des Israelis in Darmstadt bereits gesehen hat, kann nun feststellen, wie sie sich zum Beispiel allein schon dadurch verändert, dass man einmal von oben auf die Bühne geschaut, Tänzerinnen und Tänzer jetzt aber auf Augenhöhe hat, bzw. sogar ein wenig nach oben blicken muss. Dazu kommt in der Wiesbadener Premiere ein anderer Tänzer für das Solo – Jorge Moro Argote statt Tatsuki Takada: Man bemerkt es mit Erstaunen, aber Moro Argotes nur einen Hauch weniger zackige, dezent weichere Ausführung färbt diesen Auftritt anders ein. Und man versteht, dass man nie nur „ein Stück“ sieht, sondern seine besondere Aufführung an diesem einen Abend.

Staatstheater Wiesbaden: 14., 22. April, 4., 7., 15., 24. Juni, 5. Juli. www.stattstheater-wiesbaden.de

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