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Die Kraft der Menschenschar

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Von: Sylvia Staude

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Kuriose Fingerzeige in Sharon Eyals „Untitled Black“. © © Ingo Schaefer

Das Hessische Staatsballett zeigt einen veritablen Tanzabend mit Stücken von Sharon Eyal und Alexander Whitley und mit Körperkontakt.

Auf der Bühne ist es ein normaler Tanzabend – als im Saal weiterhin tüchtig vereinzelte Zuschauerin kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus. Menschen, die sich zu Körpermustern ballen. Menschen, die sich an den Händen oder um die Taille fassen. Ein kleiner Mensch, der den Kopf unter die Achsel eines großen Menschen steckt. Sensation! Das Hessische Staatsballett muss seine famosen, tapferen Tänzerinnen und Tänzer testen lassen wie verrückt.

Im Großen Haus des Darmstädter Staatstheaters gab es jetzt einen Doppelabend mit der Uraufführung „The Butterfly Effect“ von Alexander Whitley und Sharon Eyals Choreografie „Untitled Black“ als deutscher Erstaufführung. In beiden Stücken wurden Kraft und Energie des Schwarms beschworen, wenn auch mit recht unterschiedlichem Bewegungsvokabular.

Verwirbelungen im Raum

Der so genannte „Schmetterlingseffekt“ wird, wenn es um Ursache und Wirkung geht, ebenso gern beschworen wie der Sack Reis, der in China umfällt. In der Choreografie des Engländers Whitley hat man die freie Assoziationswahl: Hat das Tänzerinnen-Solo mit seinen weit ausholenden Arm-Schwüngen die folgende Gruppe beeinflusst, gewissermaßen angestupst? Führt das Kreiseln von drei oder vier Tänzern zu Verwirbelungen in der folgenden Szene? Und was geschieht durch die schroffe Musik (Rival Consoles), treibt sie wie ein Gott des Sturms die Tänzerinnen und Tänzer zusätzlich an?

Immer wieder werden im vierzigminütigen „The Butterfly Effect“ elegante Geistertänzer in farbigen Schlieren auf einen Gazevorhang projiziert, dies vermutlich ein Ergebnis von Whitleys im Lockdown ins Leben gerufenem „Digital Body“-Projekt. Der Bühnenkasten ist sonst dämmrig, das Ensemble wurde von Saskia Scherer in schwarze, flirrende Knitteroptik gekleidet. Whitley webt gerundete Formen ineinander, lässt die Choreografie ruhig ausgreifen und fließen, setzt aber insgesamt ein bisschen zu sehr auf die vertraute Sprache zeitgenössischen Tanzes. Live fehlen die optischen Widerhaken.

Die gibt es dafür reichlich bei Sharon Eyal, der großartigen israelischen Choreografin. Das ebenfalls vierzigminütige „Untitled Black“ (Ko-Kreation Gai Behar) bringt die für sie charakteristische Mischung aus roboterartigen und tierchenhaften Bewegungen, stellt das Zackig-Ruckartige neben die rätselhafte Zeichensprache, neben das putzige Trippeln oder Kopfnicken, neben die Dancefloor-Pose. Immer wieder geht das Ensemble in die Hocke, als wolle es die schwarzen Herzen präsentieren, die es in Maayan Goldmans hautengen Kostümen auf dem Po trägt. Vorne erinnern schwarze Rhomben an die Kartenspiel-Farbe Karo, Glitzerstreifen verfremden die Bodies weiter. Ob die Tänzerinnen und Tänzer, wie auf Bildern im Programmheft zu sehen, auch leuchtend blaue Kontaktlinsen trugen, konnte die Kritikerin von der 17. Reihe aus nicht erkennen. Aber auch so wirkten sie apart und außerirdisch genug.

Sharon Eyal versteht es meisterhaft, die mitreißende Energie des Unisono und der schon fast penetranten, hier aber hypnotischen Wiederholung einzusetzen, gleichzeitig die Bewegungssprache originell zu variieren. Auch das Kleine – das Auf-der-Stelle-Treten oder leichte Hüft-Wiegen, das bloße Gewichtverlagern – fasziniert in ihren Stücken sofort, wenn es eine Menge von Akteuren ausführt. Es dauert außerdem immer nur einen Augenblick, bis sich etwa ein Körperbündel aufsplittet in einzelne Körper, die aber alle exakt dasselbe tanzen. Dann wieder teilt sich das Ensemble in Reihen auf, verschieben sich diese Reihen und ihre Bewegungsfolgen gegeneinander. Dabei müssen die insgesamt 15 Tänzerinnen und Tänzer diesmal gegen die rhythmisch betonte Musik Ari Lichtiks arbeiten, Kontrapunkte setzen, laut Programmheft beharrlich und präzise mitzählen.

Die intrikaten Choreografien Sharon Eyals sind eine besondere Herausforderung an die Koordination eines Ensembles, das darin wie ein perfekt geöltes Maschinchen funktionieren muss. Umso schöner, dass das Hessische Staatsballett „Untitled Black“ inmitten der Corona-Pandemie angegangen ist und das Stück nun in so feiner Form präsentiert. Mögen die Corona-Tests negativ bleiben!

Staatstheater Darmstadt: 22. Oktober, 27. November. www.staatstheater-darmstadt.de

Staatstheater Wiesbaden: 6. November. www.staatstheater-wiesbaden.de

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