„Bajazzo“ und „Le Villi“ in Mainz: Familientragödie wird es dann genannt

Der „Bajazzo“ und die Puccini-Rarität „Le Villi“ in Mainz.
Ein plausibles und originelles Opern-Doppel auch am Staatstheater Mainz: Dem immergrünen „Bajazzo“ von Ruggero Leoncavallo geht diesmal nicht „Cavalleria rusticana“ voraus, sondern der kaum gespielte Erstling des 25 Jahre alten Giacomo Puccini, „Le Villi“. Auch hier wird die Untreue eines jungen Mannes streng bestraft!
Die Willis sind die Geister verstorbener Bräute, die nun, auf ewig fit, treulose Männer zu Tode tanzen. Eine opernaffine Ausgangslage, dazu schon das große Puccini-Thema zu später Reue, seinerzeit war ferner der aus italienischer Sicht nördliche Schauplatz in Mode. Die Willis geistern im Schwarzwald, Roberto verlässt seine Anna, um in Mainz (!) Geschäfte zu machen. Filmeinspielungen zeigen, wie er im ÖPNV aufgekratzte Frauen kennenlernt und darauf im berüchtigten Nachtleben der rheinland-pfälzischen Hauptstadt versackt. Im selben Bus ist unscharf nicht nur der Intendant zu sehen, sondern auch ein Clown – der Bajazzo aus dem zweiten Teil.
Im Wimmelbild-Mietshaus
Die prägendere Verzahnung ist in der Inszenierung von Verena Stoiber aber der unmittelbare Schauplatz. Susanne Gschwender hat ein mehrgeschossiges Wohnhaus gebaut, das im „Bajazzo“ zur bescheidenen Mietskaserne mit Wimmelbildcharakter wird, in „Le Villi“ aber das Verlobungsgeschenk Robertos für Anna ist. Durch die großen Fenster ist der Wald zu sehen, und wer Glück (oder Pech) hat, erspäht schon eine Geisterbraut zwischen den Stämmen. Ausführlich wird gefeiert, der sehr kraftvolle Chor (von Sebastian Hernandez-Laverny einstudiert) hat in beiden Stücken gut zu tun und zeigt sich individuell. Daniel Montané führt die Musik vom Graben aus insgesamt schlank, straff, nunanciert.
Lauren Margison ist die sympathische Anna mit mächtigem Sopran, die sich im tülligen Brautkleid (Kostüme: Sophia Schneider) aktiv das Leben nehmen wird. Vincenzo Costanzo ist ein ausgeprägt italienisierender Tenor und glaubhafter Leichtsinnspinsel. Die Mainzer Szenen werden in Jonas Dahls Videos freudig ausgespielt, die Rückkehr führt ihn in ein Horrorhaus, in dem Anna als neue Geisterbraut nicht alleine ist, um ihn würdig zu empfangen – und grausig genug, um fast noch mehr daraus zu machen, als es nun der Fall ist.
Während Margison sich in der Pause unverzüglich in Nedda verwandelt und Ivan Krutikov, eben noch der geschmeidige Erzähler der Geisterbraut-Saga, sich ganz spannend in den lauernden Tonio verwandelt, ist der Tenor nun Antonello Palombi: nach Costanzos leichter, junger Stimme die massive Variante. Musikalisch ist der Abend auf einem beträchtlichen Niveau.
Regisseurin Stoiber rollt das zweite Beziehungsunglück derweil in einer Wohnung des belebten Mietshauses auf. Canio und Nedda haben eine Tochter. Er arbeitet als Straßenclown, wie herzzerreißende Videos dokumentieren. Tonio und Beppe, Myungin Lee, wohnen ebenfalls hier und sind halt seine Kumpel, der nette Brett Carter ist der entspannte Nebenbuhler. Die Eskalation, die sogenannte Familientragödie, findet vor der Haustür vor den Augen der Nachbarschaft statt und zugleich in einem Zeichentrickfilm (Dahl und Clara Hertel), den alle im Fernsehen schauen. Das ist wie einmal zu oft um die Ecke gedacht. Denn trotz des Aufwands entfällt das Missverständnis zwischen Spiel und Ernst komplett. Und damit der Clou der Oper.
Staatstheater Mainz: 21., 30. April, 3., 27. Mai. www.staatstheater-mainz.com