Alexander Bernstein über seinen Vater Leonard – „Er war voller Liebe, so lebendig, überlebensgroß“

Alexander Bernstein über seinen Vater und die „West Side Story“, die über Ostern in Frankfurt zu sehen sein wird.
Herr Bernstein, wenn man den Namen Ihres Vaters Leonard hört, denkt man sicher sofort an die „West Side Story“ von 1957. Ist es auch für ihn sein wichtigstes Werk gewesen?
Für meinen Vater war immer das sein bedeutendstes Werk, an dem er gerade arbeitete. Natürlich ist es ein großartiges Stück, aber ich glaube, sein persönlichstes ist „MASS: A Theatre Piece for Singers, Players, and Dancers“. Ich glaube aber nicht, dass er eines als bestes ausgewählt hätte. Manchmal hätte er sich wohl gewünscht, dass die Leute seine anderen Werke intensiver hören würden.
Wie stehen Sie selbst heute zu seinen Stücken? Können Sie die „West Side Story“ noch genießen?
Ich glaube, ich habe die „West Side Story“ rund tausendmal gehört. Und ich liebe sie immer noch, jedes Mal, wenn ich sie wieder erlebe. Sie ist immer frisch, sie wird nie schal. Ich entdecke jedes Mal etwas Neues, grade erst bei der Orchestrierung. Für die Verfilmung von Steven Spielberg durfte ich bei den Aufnahmen zum Quintett „Tonight“ in einem Tonstudio dabei sein. Da haben sie die Stimmen einzeln aufgenommen, und die fabelhafte Ariana DeBose sang die Anita. Das hatte ich so noch nie gehört, es war umwerfend, wie sich das dann mit den anderen Stimmen mischt. Achten Sie mal drauf, wenn Sie es wieder mal hören.
Ist es Ihr Lieblingsstück aus dem Werk Ihres Vaters?
Bei mir wechselt das immer wieder. Oft ist es die „West Side Story“, oft „On the Town“, ach, oder die „Serenade“, das ist eine Art Violinkonzert, das ist auch wunderschön. Und es gibt noch so viel mehr. Seine Fähigkeiten, in so vielen Stilen und Genres zu schreiben, sind bewundernswert, Ob Musiktheater oder Jazz, immer, immer ist es Bernstein. Das ist schon toll. Das verehre ich.
Was war Ihr Vater für ein Mensch?
Er war voller Liebe, so lebendig, überlebensgroß, würde ich sagen. Gleichzeitig war er auch sehr lustig, hat gerne gelacht, konnte wunderbar Witze erzählen. Es hat großen Spaß gemacht mit ihm. Gleichzeitig wusste er unglaublich viel, nicht nur über Musik. Sein Gedächtnis war unglaublich! Er war belesen, kannte sich mit Geschichte und Politik aus, konnte zahlreiche Gedichte rezitieren, nicht nur Shakespeares Sonette. Besonders gerne hatte er „Alice im Wunderland“. Das war sein Lieblingsbuch. Das haben wir ihm in seinen Sarg gelegt.
Was haben Sie an ihm bewundert, neben der Musik?
Er konnte sechs Sprachen, er konnte mit Orchestern auf der ganzen Welt plaudern. Er war sehr, sehr sprachbegabt, liebte Wortspiele und schrieb leidenschaftlich gerne Briefe. Und er hat uns immer wieder überrascht. Leider litt er unter fürchterlicher Schlaflosigkeit, sein Gehirn summte immer, das machte ihn verrückt. Es war sehr schwierig für ihn zu entspannen.
Sind Sie selbst musikalisch?
Leider habe ich sein Talent nicht geerbt. Ich liebe Musik zwar und habe Unterricht gehabt, aber ich war viel zu faul, ich habe nicht geübt. Gut singen konnte ich auch nie. Ich habe mal Saxofon gespielt, Jazz hat mich interessiert, Cello habe ich auch versucht, aber ich habe mich immer verspielt. Also, ich bin wohl unmusikalisch. Ich habe mich dann auf die Schauspielerei konzentriert, das war eher mein Ding. Aber die Liebe zur Musik, die habe ich schon von ihm geerbt.
Geerbt haben Sie auch die Rechte an Leonard Bernsteins Werken. Bei der „West Side Story“ teilen Sie sich die mit den Erben des Choreografen Jerome Robbins und der beiden Autoren Steven Sondheim und Arthur Laurents. Ist es schwierig, neue Inszenierungen zu genehmigen?
Zur Person
Alexander Bernstein, 67, ist der Sohn des Musikers und Komponisten Leonard Bernstein (1918–1990). Er wurde als mittleres von drei Kindern in Bernsteins Ehe mit der Schauspielerin Felicia Montealegre geboren und wuchs in New York auf. Er lebt ganz in der Nähe des Ortes, an dem die „West Side Story“ spielt, Leonard Bernsteins wohl berühmtestes Stück.
Eine Inszenierung des Musicals in der Regie von Lonny Price ist aktuell auf Welttournee und gastiert vom 4. April bis zum 16. April in der Alten Oper Frankfurt. www.alteoper.de
Es gibt vier Urheber, wir überwachen neue Produktionen, aber wir sagen eigentlich fast immer Ja. Na ja, es gab auch mal die Anfrage, einen „West Side Story“-Trickfilm mit Katzen und Hunden zu machen.
Was ist daraus geworden?
Nun, es wird wohl keine Katzentrickfilme geben. Aber wenn die Absicht und die Musik respektiert werden, stimmen wir meist zu.
Muss man denn die Geschichte immer so inszenieren wie im Jahr 1957?
Natürlich ist die „West Side Story“ in vielfacher Weise ein Stück ihrer Zeit. Ich sehe sie nicht als Museumsstück, als eingefroren und fest. Im Gegenteil, ich halte sie immer noch für sehr relevant in unserer heutigen Welt. Die Sprache kann nicht aktualisiert werden, auch die Dichtung nicht. Die Liebesgeschichte ist zeitlos, die Musik klingt ganz und gar nicht veraltet. Es gab 2020 den Versuch einer Inszenierung am Broadway, leider von Covid unterbrochen, die sehr modern war in ihrer Art, mit Videos und neuen Songs. Sie haben sogar „I feel pretty“ gestrichen!
Gibt es Inszenierungen, die Sie besonders gerne mögen?
Es gibt so unglaublich viele! Ich habe es sogar selbst in der Schule aufgeführt, als ich Lehrer war. Ich habe Zehn- bis Vierzehnjährige unterrichtet als Schauspiellehrer an der High School. Das war eine unglaubliche Erfahrung für mich im Frühjahr 1991, im Jahr nach dem Tode meines Vaters. Da habe ich noch einmal das Gefühl gehabt, ihm ganz nahe zu sein. Mit Steven Spielberg zusammenzuarbeiten, war ein Traum, und auch der Film ist großartig geworden.
Wie finden Sie die aktuelle Neuinszenierung?
Lonny Price, der Regisseur, ist wunderbar, er macht das anbetungswürdig. Wir sind seit vielen, vielen Jahren befreundet. Ich glaube, wir lernten uns 1981 kennen, da spielte er den Charley in Stephen Sondheims Musical „Merrily We Roll Along“. Die Darsteller sind perfekt, die Tänzer und der Orchester-Sound fantastisch, und das bewegliche Bühnenbild finde ich großartig. Das war genau so, wie ich es mir erhofft hatte. Sagen Sie, darf ich Ihnen noch was empfehlen?
Aber gerne!
Es gibt da ein Projekt, das mir sehr am Herzen liegt und das noch mein Vater begonnen hat, „Artful Learning“. Ich habe es übernommen, bevor er starb. Wir arbeiten in Schulen in den ganzen USA und jetzt auch in der ganzen Welt. Die Idee ist, dass Kunst im Mittelpunkt allen Lernens stehen soll, es geht um den Akt des Schöpferischen. Alte und neue Erfahrungen miteinander in Einklang bringen, das ist Kunst. Deshalb brauchen wir das. Neugierig sein! Und fragen! Vielleicht können Sie es noch erwähnen, das würde meinem Vater sehr gefallen.