1. Startseite
  2. Kultur

Stil lässt sich doch kaufen

Erstellt: Aktualisiert:

Kommentare

In den zehn Wiener Sälen glitzert und glänzt es überall.
In den zehn Wiener Sälen glitzert und glänzt es überall. © Christian Wind / Belvedere, Wien

Eine Wiener Mode-Ausstellung klärt, warum es schon immer etwas vulgär war, einen besonderen Geschmack zu haben.

Von Milo? Vec

Der Begriff „Mode“ hat einen doppelten Sinn, in dem zwei Funktionen zusammenkommen. Erstens bezeichnet er ganz allgemein eine herrschende geschmackliche Präferenz, den Chic der Saison. Zweitens bedeutet „Mode“ im engeren Sinne Kleidung, die dieser Norm entspricht. Dass diese Norm voller überraschender Wendungen und rätselhafter Abgründe steckt, macht geradezu ihr Wesen aus. Anders als bei den meisten anderen Normen (des Rechts, der Religion, Moral), ist bei der Mode der Wandel programmiert: Es wird ständig alles anders, aber niemand weiß vorher, wie und warum.

In Wien kann man derzeit eine unterhaltsame Ausstellung bewundern, die sich entlang eines grellen Leitmotivs elementaren Fragen der Mode widmet. Die Ausstellung „Vulgär? Fashion Redefined“ wurde von dem Psychoanalytiker Adam Phillips und der Modeexpertin Judith Clark konzipiert. Dem Londoner Tandem ist es gelungen, ausgezeichnete Exponate mit originellen Thesen zu kombinieren. Wenn sich am Ende des Durchgangs herausstellt, dass die Paradoxien der Mode unlösbar, aber nicht alle ernst sind, dann gehört dies zu den besonders wertvollen Erkenntnissen.

Dass bei Phillips und Clark alles aufs angeblich Vulgäre hinausläuft, ist ein mehr als glücklich zu bezeichnender perspektivischer Kniff. Denn Urteile über Mode oszillieren zwischen Bestätigung und Verdikt. Und seit es keine gesetzlichen Kleiderordnungen mehr gibt, ist fast alles bloß Geschmackssache. Das Wertvolle und Prachtvolle (goldene Kleider, Brokat, Perlen), einst repressiv geschützt durch obrigkeitliche Gesetze, stehen nun allen Schichten offen. Umso mehr sind Verhandlungen über guten Stil auch Klassenfragen und besitzen ihre politische Sprengkraft.

„Vulgär“ bezeichnet dabei das untere Ende der Skala, bei dem man die Nase rümpft. Es ist alles „too much“: zu groß, zu freizügig, zu pompös. Phillips und Clark zeigen aber anhand fantastischer Stücke, wie fluide unsere Bewertungen sind. Sie beobachten Mode von der Grenzverletzung aus und überlassen es dem Auge des Betrachters, eine Haltung dazu zu finden.

Das ist umso wichtiger, weil ja der Tabubruch von heute der letzte Schrei von morgen sein kann. Anders gesagt: Es war schon immer etwas vulgär, einen besonderen Geschmack zu haben.

Tatsächlich glitzert und glänzt es überall in den zehn Wiener Sälen. In zehn Themenkomplexen arbeitet sich die Ausstellung durch Modegeschichte und Modesoziologie. Das ist pro-grammatisch gedacht, sehr witzig getextet, in der Praxis aber nicht immer trennscharf. In einer ironischen Volte präsentiert sich schon der Eingang: „Das Vulgäre offenbart den Skandal des guten Geschmacks“ heißt es dort. Die gesellschaftskritische Parole ist freilich ihrerseits auf eine riesige goldene Medaille im gravitätischen Stil des 18. Jahrhunderts geprägt, zu der die Besucherinnen und Besucher devot aufblicken müssen.

Diese Idee des performativen Widerspruchs läuft wie ein roter Faden durch die gezeigten Exponate. Gerade die originellsten Kleider, Hüte, Handschuhe und Kronen spielen ein subversives Spiel mit den geschmacklichen Normen ihrer Zeit. So begegnen dem staunenden Betrachter gleich zu Anfang Antithesen zum Vulgären, nämlich puritanische, keusche Spitzenkrägen vom 17. bis zum 21. Jahrhundert. Aber dieses Schlichte behauptet seinen Bescheidenheitsanspruch dermaßen detailreich, kunstvoll und selbstbewusst, dass er sich anmaßend ins Gegenteil verkehrt.

Dieses Spiel mit Normen verweist auf einen flirtenden Umgang mit sexuellem Begehren, Geld, Ansehen und Macht und all den anderen unerreichbaren Dingen, die Mode adressiert. Und wie bei jedem Flirt wird vorsätzlich offengelassen, ob und welche Festlegungen in den Zeichen liegen, die man verwendet. Die hocheleganten Kleider inszenieren in Material und Schnitten ihre Trägerinnen als reiche-unerreichbare Damen und zugleich deuten sie deren Sexualität und Materialismus in bisweilen geradezu schamloser Weise an.

Auf einem ebenfalls hochelegant geschnittenen Jeremy Scott-Abendkleid mit Schleppe (für Moschino) prangt weit unten der plumpe Slogan „limited edition for fashion victims“, darüber steht auf Kniehöhe „Zutaten“ in Form eines aufgedruckten Beipackzettels. Exakt auf Schritthöhe eines Dior-Kleides, für das man 2 000 Arbeitsstunden brauchte, hat John Galliano einen dezenten Sticker „sale“ angebracht. Über Brokat und Juwelen liegen bei Prada außen getragene Büstenhalter. Bei Vivienne Westwoods Bodysuit „Eve“ bedeckt ein Feigenblatt aus Plexiglas die Scham und lenkt den Blick unweigerlich dorthin, wohin zu starren höchst unmanierlich wäre.

Vor Wien wurde die Ausstellung im Londoner Barbican Centre gezeigt. Mit dem Ortswechsel gingen Akzentverschiebungen einher: Der Titel mutierte vom frontalen „The Vulgar“ zum unentschiedenen „Vulgär? Fashion Redefined“. Wichtige Exponate fielen, räumlich bedingt, Kürzungen zum Opfer. Am größten dürfte aber die architektonische Differenz sein. Waren es in London brutalistische Gebäude, so dialogisiert in Wien die High Fashion mit dem hochbarocken Winterpalais des Prinz Eugen im denkmalgeschützten Ersten Bezirk.

Es macht nun nicht den geringsten Reiz aus, die handverlesene Mode der besten Designer der letzten Jahrzehnte vor den Ölgemälden, goldenen Einfassungen und seidenen Wandbe-spannungen gerade jener Epoche zu sehen, deren unique selling point ästhetische Opulenz war: Alter Barock trifft auf neuen Barock. So blicken hinter den Schockern der Postmoderne, dem tabulosen Konstruktivismus von Margiela und der Spaßmode von Scott, würdevolle Augenpaare zurück: Der Schah von Persien und Prinz Eugen von Savoyen betrachten die Besu-cher beim Taxieren von Marc Jacobs‘ S/M-Anspielungen für Louis Vuitton.

Gerade wenn man im Begriff ist, die Ausstellung mit einem wissenden Lächeln und voller aufgeklärter Gedanken zu verlassen, fällt einem noch eine letzte Frage an die rund 90 Exponate ein. Und so eilt man noch einmal durch sämtliche seidenbespannte Salons, blickt auf historische Bekleidung, Couture und Konfektionsmode und wird zum eigenen Erstaunen nicht fündig. Denn Männermode fehlt, beinahe vollständig. Der kritische Diskurs über Mode für Snobs, inszenierte Skandale und die verlogene Gerechtigkeit des Diskurses darüber hat einen riesigen blinden Fleck. Denn in all den Debatten über den Glauben an die Reinheit und die Käuflichkeit vorgeblicher Unikate wird nur anhand des Wirkungsradius’ von Frauenkörpern verhandelt. Die so klug reflektierte Affektenlehre des Vulgären als „Selbstheilmittel gegen die Angst vor der Armut“, die Versuchung zum Hedonismus, die Anspielungen auf die sinnlichen Begierden des Clublebens – all dies scheint Männermode und Männerkörper nicht zu betreffen.

Nur ein einziger, blumengeschmückter Anzug von Gucci aus 2016 unterläuft die frag-würdige Annahme, deplatzierter Ehrgeiz, Spiel mit Verfügbarkeit sowie das Streben nach Genüssen fände von der Renaissance bis heute exklusiv in der Frauenmode statt. Und so hat die aufklärerische Schlussfolgerung von Philips, „Bildung kann der Vulgärität Grenzen setzen“ einen defizitären Beigeschmack.

Auch interessant

Kommentare