„Religion und Ökonomie sind untrennbar“

Wie das Prinzip Zufall die Welt regiert (2): Der Medienwissenschaftler Jochen Hörisch über die Unmöglichkeit unendlichen Wachstums und die Erschütterung von Gewissheiten. Ein FR-Gespräch.
Professor Hörisch, Wachstum in der Natur ist eine Erfahrungstatsache. Warum erklären Sie es zur Glaubensfrage?
Es heißt: Wer an unendliches Wachstum glaubt, ist entweder verrückt oder Volkswirt. Und gerade die Natur zeigt, dass das stimmt. Sie setzt dem Wachstum jedes Organismus Grenzen. Die Ökonomie aber tut entweder so, als gebe es diese Grenzen nicht, oder als hätte ihre Missachtung keine negativen Folgen.
Das halten Sie für irrational?
Jedenfalls kenne ich keine andere Wissenschaft neben der Theologie, die so sehr auf Glaubenssätzen und Dogmen beruht wie die Wirtschaftswissenschaft. Und die dann zu allem Überfluss auch noch behauptet, sie operiere streng mathematisch mit durchgerechneten Zahlen, Daten und Fakten. Als Philologe entgegne ich, dass schon die Begriffswelt der Ökonomen wie ein Schwamm getränkt ist mit religiösem Vokabular. Sie reden von „Schulden“, von der „Wert-Schöpfung“ und vom „Erlös“, von „Krediten“ und „Gläubigern“. Man trifft sich auf der „Messe“. Und bei jedem Einkauf „wandelt“ der Kunde ein bloßes Zeichen, den Geldschein, in eine echte Realität, die Ware. Der Theologe erkennt sofort die Parallele zur katholischen Transsubstantiationslehre, nach der im Zeichen des Brotes der Leib Christi gegenwärtig ist.
Wer hat dann das Urheberrecht? Sind es die Theologen, die für Glaubensfragen ökonomisches Vokabular bemühen, oder die Ökonomen, die ihre Begrifflichkeit der Religion entlehnen?
Das ist in etwa so müßig wie die Frage, ob das Huhn eher da war als das Ei. Faktisch gehören religiöse und ökonomische Vorstellungen offenbar untrennbar zusammen. Dabei ist „Fülle“ der Leitbegriff für die religiöse Sphäre, „Mangel“ das Paradigma der ökonomischen Sphäre, und wenn sie einmal in die Geschichte vom Garten Eden und vom Sündenfall im ersten Buch der Bibel schauen, stellen Sie fest: Gott selbst ist es, der mit der Vertreibung des Menschen aus dem Paradies von Überfluss und Fülle auf Mangel umstellt. Von diesem Augenblick an gehören Religion und Ökonomie zusammen.
Das ist nicht ganz so neu, wie es der Kölner Kongress zu „Religion und Wachstumsglaube“ nun behauptet, oder?
Im Vordatieren sind wir Philologen Meister. Natürlich hat schon Marx die religiösen Implikationen der Wirtschaft erkannt, wenn er von „metaphysischen Mucken“ sprach. Max Weber sowieso, ja auch die Scholastiker und die griechische Antike. Mit Hermes gab es einen Gott, der speziell fürs Geschäftliche zuständig war. Trotzdem ist die Behauptung eines Novums nicht ganz falsch.
Warum nicht?
Weil die Verbindung von Ökonomie und Theologie, von Wirtschaft und Religion ein Tabu war. Mal etwas klischeehaft formuliert: Was die Mafia mit der Kirche zu tun hat, war nicht gerade ein Lieblingsthema frommer Katholiken. Und umgekehrt sind Banker wenig begeistert, wenn man sie darauf aufmerksam macht, wie sehr ihr Geschäft auf Treu und Glaube basiert und wie sehr sie in der Vergangenheit ihre Glaubwürdigkeit verspielt, ihren Kredit verloren haben.
Was bringt der Aufweis des Zusammenhangs von Gott und Geld, um es einmal so zu formulieren, jenseits des intellektuellen Reizes für Sprach- und Kulturwissenschaftler?
Zum Beispiel die Erschütterung falscher Gewissheiten oder vorgeblich eherner Gesetze. Nehmen Sie Adam Smiths Begriff der „unsichtbaren Hand“, die das Marktgeschehen reguliert. Dahinter steckt die Vorstellung von einem Walten gleichsam göttlicher Kräfte in der Wirtschaft. Für die Freiheit des Menschen und seine Verantwortung bleibt da kein Platz. Das setzt sich fort bis in unsere Gegenwart. Wie oft heißt es, „die Märkte wollen dies oder jenes“? Gott will es, der Markt will es ... Ich sage, Pustekuchen! Der Markt will gar nichts. Wir müssen selber etwas wollen oder eben auch nicht wollen: die Rettung Griechenlands oder den Grexit, Obergrenzen für Managergehälter, höhere Hartz-IV-Sätze oder was auch immer.
Ökonomen reagieren allergisch, wenn Leute wie Sie – Philologen, Philosophen, Theologen – mit dem Anspruch auftreten, sie verstünden die Wirtschaft besser als sie selbst.
Ein typischer Fall für die Differenz von Teilnehmer- und Beobachterperspektive. Klar, die Ökonomen sind eingeschnappt, wenn Leute von außen kommen und ihnen sagen: „Ist es nicht eine Mystifikation ersten Ranges, wenn ihr von der ‚unsichtbaren Hand des Marktes‘ redet?“ Und sie reagieren ausgesprochen allergisch, wenn man sie dafür auslacht, dass die Theorie von der besonderen Effizienz und Rationalität der Finanzmärkte mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften bedacht wurde. Dumm gelaufen, würde ich sagen – nach der Lehman-Pleite von 2008 und der Finanzmarktkrise. Aber das wollen die Wirtschaftswissenschaftler nicht hören. Ihr Grad an Selbstimmunisierung scheint mir noch ausgeprägter zu sein als in anderen Disziplinen. Deswegen finde ich es spannend, dass auf dem Kölner Kongress über Wirtschaft und Religion das interdisziplinäre Gespräch nicht nur beschworen, sondern geführt werden soll.
Interview: Joachim Frank