Raumkunst irgendwo im Niemandsland

Der japanische Architekt Tadao Ando hat auf der ehemaligen Raketenstation in Hombroich bei Neuss einen symbolträchtigen Museumsneubau entworfen
Von CARSTEN RUHL
Mit der Eröffnung des neuen Domizils für die Langen-Foundation auf der Raketenstation umweht ein Hauch von sakraler Feierlichkeit und Stille die ehemalige Nato-Basis. "Das Fotografieren sowie jede sonstige bildliche Darstellung der militärischen Anlage sind untersagt", hatte es hier noch in den 90er Jahren am Stacheldrahtzaun irgendwo im rheinischen Niemandsland bei Neuss geheißen.
Ortlose Landschaft
Als der kunstsinnige Mäzen Karl-Heinrich Müller jenen blinden Fleck inmitten "ortloser Landschaft" im Jahr 1993 erworben hatte, ergriffen jedoch Kunst und Natur hiervon zunehmend Besitz. Aus einem einstmaligen Zeugnis des Kalten Krieges wurde so ein parkähnliches Gesamtkunstwerk, das die benachbarte Museumsinsel Hombroich auf wunderbare Weise ergänzt. Mit Tadao Andos Museumsneubau, zu dem im November 2002 der Grundstein gelegt worden war, erhält jene symbolträchtige Okkupation der Raketenstation durch die Kunst nun ihren vorerst krönenden Abschluss.
Als einen "Ort des Friedens" und "Symbol einer neuen Weltkultur" möchte Tadao Ando seinen Museumsneubau verstanden wissen. Einem heiligen Bezirk ähnlich, verschanzt er sich hinter hohen, mit Gras bewachsenen Erdwällen, wo er sich der lärmenden Außenwelt gleichsam zu entziehen sucht. Allein das halbkreisförmige Entree aus Sichtbeton gibt den Blick auf das Allerheiligste frei: Eine glasummantelte über vierzig Meter lange Cella aus Beton, die über eine von Kirschbäumen flankierte Wegachse entlang eines künstlich angelegten Sees erschlossen wird. Vervollständigt wird jener Bühnenprospekt aus Architektur und Natur durch einen monolithisch geschlossenen, sechs Meter in den Boden versenkten Betonriegel. In einem Winkel von 45 Grad schiebt er sich in die filigrane Glashaut des Kunsttempels und stellt so eine kontrastreiche Verbindung zwischen den beiden gegensätzlichen Gebäudeteilen des Komplexes her.
Die Planungen zu diesem außerordentlichen Museum begannen bereits 1996 als die Stiftung Insel Hombroich ein Gesamtkonzept für das neu erworbene dreizehn Hektar große Areal der ehemaligen Raketenstation entwickelte. Neben Bauten und Skulpturen Erwin Heerichs, Katsuhito Nishikawas und Eduardo Chillidas wurde von Andos Entwurf zunächst allein das heutige Entree realisiert, das als geisterhafte Kulisse lange Zeit ein einsames Dasein fristete.
Dies wäre auch heute noch der Fall, hätte sich nicht Marianne Langen vor einigen Jahren kurzerhand dazu entschlossen, mit einer Summe von sechs Millionen Euro die Realisierung des Ausstellungsgebäudes doch noch zu ermöglichen. Dabei war das beispiellose Engagement der damals 90-jährigen nicht ganz uneigennützig. Denn mit dem Neubau sollte die in Europa wohl einzigartige Kunstsammlung der spendablen Stifterin endlich eine permanente Bleibe finden. In über 50 Jahren hatte Marianne Langen zusammen mit ihrem Mann zahlreiche Gemälde, darunter Werke Picassos, Légers, Beckmanns, Dubuffets und Rothkos sowie eine umfangreiche Sammlung japanischer Kunst des 12. bis 19. Jahrhunderts zusammen getragen. In dem neuen rund 900 Quadratmeter Ausstellungsfläche umfassenden Komplex konnten nun beide Sammlungsstränge unter einem gemeinsamen Dach vereint werden.
Mit der Wahl Tadao Andos als Architekt des Hauses bewies Marianne Langen, die im Februar dieses Jahres verstarb und daher die Fertigstellung des Museums leider nicht mehr erlebte, auch in architektonischer Hinsicht ein sicheres Gespür für Qualität. Nicht zuletzt deswegen, weil der 1995 mit dem Pritzker-Preis ausgezeichnete Architekt wie kein anderer auf subtile Weise die Gegensätze zwischen westlicher und japanischer Baukunst durch ein abstraktes Spiel aus geometrischen Grundformen in ästhetisch äußerst reizvolles Wohlgefallen aufzulösen vermag. "Ich wollte mit meiner Architektur nichts spezifisch Japanisches bauen", lautet Andos Absichtserklärung für Hombroich, die gleichwohl für seine Architektur insgesamt zum Motto erhoben werden könnte. Denn nur der aufmerksame Beobachter vermag neben den Einflüssen eines Le Corbusier oder Louis Kahn die zu Chiffren gewordenen Anspielungen auf die japanische Bautradition in jener internationalisierten Architektur noch von den westlichen Einflüssen scharf zu trennen: Ando & Associates sind längst in die Liga der global player aufgestiegen, wofür große Aufträge wie das zuletzt für 60 Millionen Dollar in Fort Worth erbaute Modern Art Museum ein untrüglicher Indikator sind.
Im Museum auf der Raketenstation geht es zwar beschaulicher zu, allerdings dürfen auch hier die seit den 70er Jahren zum Markenzeichen Andos gehörenden Elemente nicht fehlen: Geometrische Grundfiguren aus kristallinen Materialien wie Glas, Beton und Stahl formen im Zusammenspiel mit Licht und Wasser eine luzide Raumkunst, die nicht selten einen Ort meditativer Versenkung schafft.
"Bilder der Stille" lautet dann auch der Titel der Eröffnungsausstellung, mit der erstmals ein repräsentativer Querschnitt durch die Sammlung der Langen-Foundation geboten wird. Die größte Weihe kommt dabei den japanischen Rollbildern zu, die in der Cella des gläsernen Kunsttempels den Auftakt bilden, bevor eine seicht abfallende Rampe zwischen "seidenen Betonwänden" in die lichten Ausstellungshallen des monolithischen Riegels mit Werken der europäischen Moderne führen. Dabei provoziert der verschwenderische Umgang mit Wandfläche geradezu die stille Betrachtung der Bilder und korrespondiert so in wunderbarer Weise mit der Architektur des Hauses.
Kein Mausoleum
"Die größte Plastik der Ausstellung ist die Architektur selbst" heißt es in den einleitenden Worten der Stiftung. Als Freibrief für kommende Ausstellungen sollte dies allerdings nicht missverstanden werden. Auf die Frage, wie man sich zukünftige Projekte vorstelle, antwortete die seit April neu zusammengesetzte Leitung der Stiftung mit dem Hinweis auf die Abgeschlossenheit der Sammlung auffallend konzeptlos. Marianne Langen jedenfalls, die ein "Werk im immerwährenden Prozess" anstrebte, hätte sich für ihre Sammlung alles andere als ein Mausoleum gewünscht.
Raketenstation Hombroich, bei Neuss: Die Ausstellung "Bilder der Stille" ist bis zum 15. Mai zu sehen. www.inselhombroich.de