Plötzlich schuld an allem

Dieter Kosslick, "der Mister Berlinale", hat in den letzten Monaten einen ziemlichen Streifen mitgemacht.
Als Dieter Kosslick kürzlich seinen 70. Geburtstag feierte, lasen sich die Lobreden auf seine Person wie künstlerische Nachrufe. Das waren sie ja auch. Denn seit langen stand fest, dass der „Mister Berlinale“ wie er gern genannt wurde, nach dem nächsten Festival im Februar 2019 seinen Posten wird räumen müssen. „Mit Mut, Leidenschaft und Einfallsreichtum haben Sie die Berlinale ins 21. Jahrhundert geführt“, schrieb die Kulturstaatsministerin Monika Grütters in ihrer Gratulation und man konnte aus ihren Worten herauslesen, dass diese Tugenden allein in Zukunft nicht mehr reichen werden.
Obwohl die Berlinale in jedem Jahr neue Publikumsrekorde vermelden konnte, war in den letzten Jahren auch Unzufriedenheit mit Kosslicks Festivalpolitik zu vernehmen. Erst unterschwellig, was der Adressat als jenes typische Genörgel vernommen haben mag, das hierzulande jeden erfolgreichen Künstler oder auch Kunstmanager irgendwann trifft.
Vorwürfe wurden schärfer
Doch dann wurden die Vorwürfe schärfer – und auch persönlicher. Die Filmauswahl sei zu beliebig, das Programm zu unübersichtlich und mit Nebenreihen aufgebläht. Der Wettbewerb orientiere sich zu sehr an den Erwartungen der Sponsoren und des Eventpublikums. Eines kam zum anderen und an allem sollte plötzlich Dieter Kosslick schuld sein, jener Mann, der mit seinem Charme, seinem Kommunikationstalent und seiner meistens ja doch ganz guten filmischen Nase in den 17 Jahren seines Wirkens die Berlinale erst wieder zu einem internationalen Ereignis gemacht hatte. Mancherorts kam eine Kosslick-muss-weg-Stimmung auf, die der tatsächlich notwendigen Profilierung der Berlinale keinesfalls dienlich sein konnte.
Als sich im vergangenen Herbst abzuzeichnen begann, dass bei einer Entscheidung über die Zukunft des Festivals auch Dieter Kosslick wieder eine Rolle spielen könnte, fühlte sich eine kritische Fraktion deutscher Filmschaffender – mit dabei unter anderen Fatih Akin, Maren Ade und Christian Petzold – dazu ermuntert, sich in einem offenen Brief an die Verantwortlichen zu wenden. Das Festival müssen entschlackt und erneuert werden, lautete eine der zentralen Forderungen. Viel konkreter wurde es nicht, aber die Prominenz der Unterzeichnenden sorgte dafür, dass die Personalie des Festivalchefs – oder eben auch der Chefin –, zum Politikum erhoben wurde.
Was als Verwaltungsakt geplant war, wuchs sich zu einer öffentlichen Angelegenheit aus, die im Dezember in einer Podiumsdiskussion gipfelte, auf der Monika Grütters ankündigte, mit einer Findungskommission nach geeigneten Kandidatinnen und Kandidaten für die Führungspositionen suchen zu wollen. Schon damals war von einer Doppelspitze aus geschäftlicher und künstlerischer Leitung die Rede. Dieter Kosslick selbst hatte zur selben Zeit erklärt, dass er nicht mehr zur Verfügung stünde. Zu tief saßen die Verletzungen.
Diese persönliche Schmähung, als die der kritische Brief zur Zukunft der Berlinale eben auch empfunden werden konnte, veranlasste einige Unterzeichner, Andreas Dresen und Christian Petzold etwa, sich von dem Schreiben wieder zu distanzieren.
Aus der Filmindustrie hatte Dieter Kosslick in jener Zeit ohnehin nur Zuspruch erfahren. In den Fachzeitschriften summierten sich die Beiträge, in denen sein Engagement für das Festival gewürdigt wurde. Da war er wieder, der „Mister Berlinale“, der er immer sein wollte. Wie persönlich es im deutschen Filmgeschäft zugeht, konnte man auch zu Kosslicks Siebzigsten bemerken, als in einer großen Anzeige vom „Lieben Dieter“ die Rede war. Dieter Kosslick wird seinen würdigen Abschied bekommen.