Der Parzelle zugeneigt
Jenseits der Hektik der Architekturmoden: Ein Büro- und Wohnhaus von Jo Franzke an einer der unruhigsten Frankfurter Immobilienadressen
Die Bockenheimer Landstraße im Frankfurter Westend ist eine geradezu verhaltensauffällige Institution. Sie ist als Boulevard ein Gerücht und als Immobilienadresse eine Tatsache. Doch auch entlang dieser Straße konzentriert sich der Büroraum leer stehend. Zwischen solchen Flächenreserven residiert das Frankfurter Literaturhaus, an der Bockenheimer Landstraße liegt einer der Eingänge zum Palmengarten genauso wie das durch Adornobesuche einst geadelte und ob intellektueller Fingerzeige noch heute bedeutungsvolle Café Laumer.
Das Gerücht hat hier in Geschäfte und Restaurants investiert. Die Immobilienadresse lässt für sich Banken und Hotels arbeiten. Ebenfalls an der Bockenheimer Landstraße vorhanden sind Hochhäuser der ersten Generation (die, wie das Hoch-Tief-Gebäude Egon Eiermanns, in diesen Tagen niedergelegt werden) und solche der Postmoderne (unter deren feisten Fassaden der Straßennutzer sich zu ducken gelernt hat). Unter all den Laufstegen der Architekturmoden in Frankfurt ist dieser der hysterischste. Darüber hinaus verbindet die Bockenheimer konjunkturunabhängig den Frankfurter Opernplatz, wo der Historismus leuchtet, mit der Bockenheimer Warte, wo der Nachkriegsfunktionalismus der Universitätsbauten Ferdinand Kramers dahinsiecht.
Schiefer Turm von Frankfurt
Jetzt ist an der von älteren Bäumen bestandenen Bockenheimer Landstraße eine weitere Adresse hinzugekommen, dort, wo ehedem die Bank Salomon Oppenheimer eine Residenz vorzuweisen hatte. Zwischen Unter- und Oberlindau hat die Kölner Versicherung Axa elf Geschosse hoch bauen lassen. Ein neungeschossiger, kompakter Baukörper umfasst u-förmig einen um zwei weitere Stockwerke höheren, gläsernen Turm; schräg ist er obendrein. Der um vier Grad sich in einen Innenhof neigende Glasturm bewirkt einen besser ausgenutzten Lichteinfall in die Büros - und insofern beruht die artifizielle Idee nicht auf einem Spleen, sondern auf einer funktionalen Überlegung.
Bauwerk und mit ihm der schiefe Turm von Frankfurt stammen aus dem Büro Jo. Franzkes. Als Vertreter einer ausgeklügelten Reduktion konfrontiert der Frankfurter auch den Bockenheimer Landstraßennutzer mit einer Niederlassung eines entschiedenen Repräsentationswillens. Sockel, Mittelteil, Kapitell: Die Geschossgliederung im Verhältnis zwei - fünf - zwei, ist sparsam akzentuiert. Die hochstehenden, innenbündigen Fensterformate der Sockelzone haben eine ausgeprägte Laibung; damit nehmen sie die umliegende Gründerzeitbebauung mit ihren Gestaltung im Sockelbereich zum Vorbild. Im Mittelteil liegen die Fenster bündig in der Fassade, die das Licht nutzt, um die Natursteinhaut des etwas stumpf wirkenden Cape Green tatsächlich changieren zu lassen - unter günstigen Bedingungen geschieht das von anthrazit bis dunkelgrün. In der Kapitellzone treten die grauen Fensterrahmen etwa zehn Zentimeter aus der Steinverkleidung.
Man muss nicht in der Zentralperspektive vor dem dreispännigen Gebäude verharren, um dessen Leitmotiv zu erfahren. Ein beharrlicher Ordnungswille tritt in einer gebauten Umwelt aus zusammengeschobenen Architekturtrends auf. Und auch wenn bereits ein lichtspendendes, streng gerastertes Vordach das rationalistische Programm des Architekten nur betont, so weisen doch die unterschiedlichen Fensterformate und deren Differenzierung im Detail weit hinaus über alle Muster, die aus dem Geist eines heroischen Neotraditionalismus stammen. Franzke gehört nicht zu den Propagandisten eines durchpausenden Neohistorismus oder sentimentaler Baustilblüten. Und für ein Parteigängertum, das einem feschen Fassadenpopulismus hinterherläuft, ist er ebenfalls nicht zu haben.
Das kann hier, im Westend Frankfurts, nicht hoch genug veranschlagt werden. Das heterogene Quartier ist ohne die Hegemonieinteressen seiner Investoren nicht zu denken, so auch hier, wo das Programm die im Bebauungsplan festgeschriebenen Richtlinien überschritt. Zur Kompensation entstanden, rückwärtig, hinter dem Kopfbau an der Bockenheimer Landstraße, entlang der Unter- und Oberlindau drei Wohngebäude, die das kleinteilige der historischen Parzellenstruktur genauso berücksichtigen wie Interessen eines stattlichen Wohnens. Zur Vervollständigung des Wohnquartiers wurde die Blockrandbebaung geschlossen, zum Hof hin sind die Stadthäuser mal spröde abgetreppt, mal bilden die Altane durch den Rahmen aus Stahl einen saloppen Kontrast.
In den Wohnungen gehen nicht bloß karge Herbergsinteressen ein und aus, ob nun im 30 Quadratmeter-Appartement oder in der 200-Quadratmeter-Bleibe, die über zwei Geschosse führt. Wer hier in den oberen Geschossen einzieht, finanziert einen freien Blick, der über den komfortablen Opernplatz geht und für den die Skyline einen theatralischen Prospekt abgibt.
Verträgliche Koexistenz
Zur verträglichen Koexistenz der Neuheiten und der drei denkmalgeschützen Stadtvillen trägt der helle portugiesische Kalkstein bei. Einen Anklang von Ornament bilden zur Unterlindau vertikale Bänder aus Kanneluren, obendrein sind es horizontale Glaslamellen vor den Loggien und dem Treppenhaus, die den Neubauten eine legere Eleganz verleihen - und schon deshalb sticht die Fassade des Glasturms, die sich in den Hof neigt, ob ihrer Spannungslosigkeit ab. Deshalb mag es so scheinen, dass dieser Coup wie ein Coup erscheint, der allein um Aufmerksamkeit heischt. Tatsächlich ist es wohl eher so, dass Franzke zuallererst ein Steinbaumeister ist, und es auch letztendlich geblieben ist, wo seine urbane Besonnenheit dem architektonischen Leichtsinn zuneigt.
Dennoch muss man Franzkes Bemühungen als behutsame Parzellenreparatur verstehen, als vernunftgeleiteten Häuserkampf, auch wenn er andernorts schon erheblich strenger gebaut hat. Dass der Grundriss auf dem trapezförmigen Grundstück alles andere als einfach zu bewältigen war, zeigt sich im Foyer des Bürogebäudes.
So licht das Entree, so hell der Raum mit seinem Empfangstresen, so anziehend auch die beiden links und rechts abgehenden Bibliotheken und so intensiv nicht zuletzt die Holzarbeiten (aus den Werkstätten in Dresden-Hellerau) eine Einladung an haptische Interessen aussprechen - so sehr irritierend die Verspannungen und auch toten Winkel, die dem offensichtlich nicht zu harmonisierenden Verhältnis von verschobenem und schlichtem Viereck, von Trapez und Quadrat geschuldet sind.
Eine Spannung auf eigene Weise bringen die Fotoarbeiten Claus Burys in das von der Anwaltssozietät White & Case, Feddersen gemietete Gebäude. Burys grandiose Schwarzweißfotografien halten temporäre "Bauern-architektur" (Bury) fest, nichts anderes als Heuballengebilde auf spätsommerlichen Stoppelfeldern. In den Fluren horizontal gehängt und im Erschließungsschacht in ihrer vertikalen Anordnung wie geschichtet, korrespondieren die Dokumente einer geradezu romanischen Lakonie und Monumentaliät mit den Absichten des Architekten.
Gleichmaß und Reduktion. Schon vor der Tür war das zu sehen, hier allerdings wurde das Credo durch eine Buryskulptur in eine prekäre Balance versetzt. Für den dahin rollenden PKWchauffeur kann Burys kupferfarbene Holzskulptur ein stoisches Ablenkungsmanöver abgeben. Wie es sich, ganz unabhängig von solchem Leichtsinn, für die urbane Verkehrsberuhigung und die jüngsten innerstädtischen Sicherheitsstandards gehört, erlaubt die Fahrt in die Tiefgarage die Möglichkeit, von dort direkt in die oberen Geschosse des Büroturms zu gelangen. Mandanten der Sozietät genauso wie deren Mitarbeiter müssen die Bockenheimer Landstraße nicht mehr als Fußgänger beleben.
Aber die Aussicht vom Glasturm aus! Sie ist in alle vier Himmelsrichtungen sehr facettenreich. Lediglich naturgerecht ist sie nördlich, ins nicht weite Mittelgebirge. Aber als Globalcityperspektive kann sich sie auch durch die umliegenden Skyscraper zwängen. So gibt es von diesem Standpunkt aus die Möglichkeit, Frankfurt als Blickfang zu betrachten. Das gelingt auch deshalb, weil dort, wo zuvor fünf Geschosse existierten, elf errichtet worden sind. Gemessen an den Plänen in der Nachbarschaft ist das bescheiden.