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Parforceritte durch den Architekturparcours

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In der Wandlungsfähigkeit liegt die Kraft: Pritzker-Preisträgerin Zaha Hadid.
In der Wandlungsfähigkeit liegt die Kraft: Pritzker-Preisträgerin Zaha Hadid. © ap

Mit Zaha Hadid geht in diesem Jahr die bedeutendste Architekturauszeichnung der Welt, der Pritzker-Preis, erstmals an eine Frau

Von HUBERTUS ADAM

1988 präsentierte die Architekturabteilung des Museum of Modern Art eine neue Stilrichtung: Dekonstruktivismus lautete das Schlagwort, unter dem die Kuratoren die Arbeiten von sieben zeitgenössischen Architekten in New York präsentierten, darunter Daniel Libeskind und Peter Eisenman, Rem Koolhaas, Frank O. Gehry und Zaha Hadid. So recht behagte das Label keinem der Präsentierten, die eher mit visionären Entwürfen und programmatischen Texten als durch eine große Anzahl realisierter Bauten bekannt geworden waren und auf Grund ihrer dezidiert individuellen Formensprache kaum in das Prokrustesbett eines neuen Architekturstils gepresst werden wollten.

Erfolg und Popularität

Die Teilnehmer der Ausstellung vor 15 Jahren sind in der Tat durchaus unterschiedliche Wege gegangen, sie sind immer wieder in Wettbewerben aufeinander gestoßen - und sie sind nach Jahren, in denen ihre Entwürfe als schlicht nicht realisierbare Phantasmagorien abgetan wurden, extrem erfolgreich. Mehr noch als das: Einige von ihnen können durchaus für populär gehalten werden.

Popularität ist ein Phänomen, das - gerade in Deutschland - kritisch beäugt wird. Zu stark zeigt sich die Tradition eines romantisch unterfütterten Genialitätsverständnisses, demzufolge der wahre Künstler (also auch der Künstlerarchitekt) verkannt zu sein hat. So viel aber ist gewiss: Wer baut, wird zu Kompromissen gezwungen. Interessant ist lediglich die Frage, ob die Entwurfshaltung es erlaubt, adäquat auf die verschiedenen Anforderungen zu reagieren.

Zaha Hadid, die am 31. Mai dieses Jahres in der Eremitage St. Petersburg als erste Frau den gerne als "Nobelpreis der Architektur" apostrophierten Pritzker-Preis erhalten wird, lässt sich als geeignetes Beispiel anführen, weil ihre Architektursprache zur Wandlung befähigt ist, ohne an Gehalt zu verlieren. Die Projekte der jüngsten Zeit zeigen formal völlig unterschiedliche Lösungen, und doch gelingt es der Architektin immer wieder, spannungsvolle, ja faszinierende Räume zu schaffen: Architektur im besten Sinne.

Über lange Jahre galten die in expressiven Zeichnungen und Gemälden sich niederschlagenden Visionen der 1950 in Bagdad geborenen und in London ausgebildeten Architektin als unbaubar, dann gelang ihr mit dem Feuerwehrhaus für die Möbelfirma Vitra in Weil am Rhein 1993 der Durchbruch: Eine experimentelle Etüde, bei der die Funktion eigentlich nachrangig war - die pfeilartig in die Luft stoßenden Betonelemente und die scheinbar kippenden Mauern dienen inzwischen denn auch nicht mehr ihrem eigentlichen Zweck. Aber es zeigte sich, dass die Ideen der Dekonstruktivisten den Sprung vom Zeichenbrett in die Realität geschafft hatten.

Berühmt wurde Zaha Hadid darüber hinaus durch die Arbeiten, die unrealisiert blieben: für Düsseldorf, für Wien, für Berlin, für Cardiff. Dargestellt in suggestiven Perspektiven, die auf dem Kunstmarkt inzwischen hohe Preise erzielen, weil es sich um eigenhändige Zeichnungen und Gemälde handelt; der Computer mit seinen neuen Möglichkeiten der Darstellung hielt erst später Einzug in das Büro der Architektin. Wie auch der Erfolg. Zunächst entstand anlässlich der Landesgartenschau 1999 ein weiterer Pavillon in Weil am Rhein, dann ein Straßenbahn-Terminal an der Peripherie von Straßburg (2001), für das die Architektin mit dem Mies-van-der-Rohe-Award den bedeutendsten europäischen Architekturpreis erhalten hat. Es folgte der elegante Neubau der Sprungschanze auf dem Bergisel oberhalb von Innsbruck (2002). Inzwischen reicht die Spanne der Arbeiten, mit denen sich Hadids Londoner Büro inzwischen beschäftigt, vom Stage Design für die Welttournee der Pet Shop Boys bis hin zu urbanistischen Planungen in China oder Singapur. Mitte des letzten Jahres wurde das vielleicht wichtigste Projekt der vergangenen Jahre fertiggestellt: Eine vertikale Kunsthalle im mittleren Westen der USA, in Cincinnati. Sichtbeton, Stahl und Glas prägen das neokubistische Bauensemble des Contemporary Arts Center, eine Assemblage verschieden proportionierter und leicht gegeneinander versetzter Körper. Der Lichtschacht, die Treppenkaskade, die Räume und Kabinette: Das ständig wechselnde Raumerlebnis macht den Reiz dieses Museums aus. Nicht die abgeklärte Ruhe des "white cube" herrscht vor, sondern die Dynamik eines Parcours, der immer wieder den Lichtschacht tangiert und ab und an einen wohlkalkulierter Ausblick auf die Umgebung gewährt.

Extrem wandlungsfähig

Verglichen jedoch mit den winkligen und kantigen Architekturen von früher, aber auch den organisch-fließenden Formen jüngerer Projekte wirkt die Kunsthalle von Cincinnati beinahe ruhig und gelassen; mit seinem Quäntchen Neo-Brutalismus folgt das Contemporary Arts Center einer deutlich anderen Entwurfshaltung als das eher biomorph dem Boden entwachsende Science Center namens "Phæno" in Wolfsburg, das noch in diesem Jahr eröffnet wird.

Zaha Hadid, und das unterscheidet sie von manchen ihrer ungebetenen Mitstreiter der Ausstellung von 1988, zeigt sich in hohem Masse wandlungsfähig - bis hin zu dem jüngsten Projekt eines Guggenheim-Museums für die taiwanesische Stadt Taichung, bei dem ein Gebäudeflügel mit Hilfe von Schienen und Luftkissen in Bewegung versetzt werden soll. Ihre Entwurfshaltung, bei allen Unterschieden im Detail, und trotz aller Wandlungsfähigkeit, die sie kontinuierlich verfolgt hat, ist eingeflossen in das Bekenntnis: "Es gibt 360 Winkelgrade, warum also der Zuschlag für lediglich einen?"

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