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Oscar-Preisträger Brendan Fraser: „Der Schaden, den man nur mit Worten anrichten kann, ist enorm“

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„Ich habe selbst oft erlebt, wie es ist, wenn man beschimpft und lächerlich gemacht wird“, sagt Brendan Fraser.
„Ich habe selbst oft erlebt, wie es ist, wenn man beschimpft und lächerlich gemacht wird“, sagt Brendan Fraser. © Future Image/Imago

Einst der Weltruhm, dann eine lange Pause, nun die furiose Rückkehr mit dem Oscar: Schauspieler Brendan Fraser spricht mit Patrick Heidmann über seine prämierte Rolle in „The Whale“

Mr. Fraser, nach einigen Jahren, die Sie eher fernab des Rampenlichts verbracht haben, feiern Sie aktuell Ihr großes Comeback. Wie geht es Ihnen damit?

Ich war ja ehrlich gesagt nie wahnsinnig weit weg (lacht) . So schnell wird mich schließlich niemand los. Aber was soll ich sagen … Ich kann nicht wissen, was kommen kann. „Mag es nun sein, was es will, ich werde dazu lachen“, so schrieb es unser Freund Herman Melville 1851 in „Moby Dick“.

Gerade in Hollywood eine vermutlich gesunde Einstellung. Aber Sie müssen selbst staunen, dass Sie früher Filme wie „Steinzeit junior“ oder „George – Der aus dem Dschungel kam“ drehten und nun für einen Film wie „The Whale“ und danach für „Killers of the Flower Moon“ von Martin Scorsese vor der Kamera standen …

Als widersprüchlich empfinde ich das nicht. Und es ist wirklich so: Ich freue mich auf alles. Mit Martin Scorsese zu drehen, war wie die Teilnahme an einer Masterclass, wahnsinnig erhellend und lehrreich. Was für ein Talent dieser Mann ist! Ein echter Großmeister, was man in jedem Moment spürt. Man fühlt sich ein wenig wie in der Werkstatt eines Künstlers: Als seine Mitarbeiter reichen wir ihm alle Werkzeuge an, die er braucht, um sein Werk Wirklichkeit werden zu lassen.

Charlie als Menschen aus Fleisch und Blut zu zeigen und nicht bloß als dicke Witzfigur – das war stets das oberste Ziel.

Brendan Fraser

Darren Aronofsky, der Regisseur von „The Whale“, berichtet, dass er sehr lange nach einem passenden Hauptdarsteller für den Film gesucht habe. Aber nachdem er auf Sie gestoßen war, habe es keine Alternative gegeben. Würden Sie auch sagen, dass diese Rolle wie gemacht für Sie war?

Ich bin mir sicher, dass Darren auch jemand anderen gefunden hätte, wenn wir uns nicht begegnet wären. Für mich war es einfach ein großes Glück, dass ich derjenige war, der im richtigen Moment sein Büro betrat (lacht) . Gleich zu Beginn trafen sich Darren, meine Filmtochter Sadie Sink und ich, um gemeinsam das Drehbuch zu lesen. Wenn da die Chemie nicht gestimmt hätte, bin ich sicher, dass wir heute nicht hier säßen. Faule Kompromisse wäre er sicherlich nicht eingegangen. Zum Glück! Denn von den Standards, die er an die eigene Arbeit anlegt, habe ich enorm profitiert.

In welcher Hinsicht?

Zu sehen, wie gründlich und kompromisslos er sich diesem Projekt verschrieb, hat uns alle angespornt, noch mehr als sonst unser Bestes zu geben. Ohne ihn hätte ich diese Rolle nicht auf solche Weise spielen können. Darren ist ein Regisseur, der uns mit seiner Arbeitsweise zu besseren Schauspielern macht. Dazu gehörte in diesem Fall zum Beispiel eine Probenzeit von drei Wochen in Florida, in einem Raum, der exakt den Maßen des Filmsets entsprach. Es war, als wären wir ein Orchester, das seine Stücke übt, damit wirklich alles sitzt, wenn dann die Kamera läuft. Ich habe das nicht als beengend, sondern im Gegenteil als sehr befreiend empfunden. Ähnlich übrigens wie die Covid-Auflagen, die uns irgendwie noch enger zusammengeschweißt haben und im ganzen Team dafür sorgten, dass wir immer alle sehr das Wohlergehen der anderen im Sinn hatten.

Zur Person

Brendan Fraser, 54 Jahre, wird Anfang der 1990er Jahre bekannt für seine Rolle in der Komödie „Steinzeit Junior“. Der internationale Durchbruch gelingt dem US-amerikanisch-kanadischen Schauspieler mit der Filmreihe „Die Mumie“. Auch in der Verfilmung von Cornelia Funkes Bestseller „Tintenherz“ übernimmt er die Hauptrolle.

In den 2000er Jahren zieht sich Fraser dann weitgehend aus der Öffentlichkeit zurück, er nimmt nur noch vereinzelt TV-Rollen an. In Interviews berichtet er später, dass er 2003 von Philip Berk, dem Präsidenten der Hollywood Foreign Press Association, sexuell genötigt worden sei. Diese Erfahrung und weitere Schicksalsschläge hätten zu einer schweren Depression geführt.

Mit „The Whale“ hat sich Fraser zurück ins Rampenlicht gespielt; die Hauptrolle in dem Drama von Darren Aronofsky bringt ihm den Oscar und den Golden Globe ein. Neben vielen Preisen hat „The Whale“ für sein Porträt eines übergewichtigen Menschen aber auch viel Kritik geerntet: Es handele sich um eine klischeehafte Darstellung, die schädliche Vorurteile verstärke. FR

Sie spielen einen Professor, der mehr als 270 Kilogramm wiegt und seine Wohnung nicht mehr verlässt. Wie haben Sie sich in diesen Mann verwandelt?

Was das Äußerliche angeht, war das ein durchaus aufwendiges Prozedere. Erst wurde ein Scan meines Körpers angefertigt, dann machte sich davon ausgehend unser Prosthetic-Make-up-Designer daran, mit seinem Team in Montreal basierend auf Recherchen und seiner sowie Darrens Vision virtuell ein Modell zu kreieren. So wurde festgelegt, wie ich als dieser Charlie am Ende aussehen sollte. Am 3D-Drucker wurde dann aus verschiedenen Silikon-Materialien alles hergestellt, woraus später um mich herum dieser Körper modelliert wurde.

Das war also nicht ein klassischer Fat-suit, in den Sie hineingeschlüpft sind?

So hätte man das vielleicht früher gemacht, aber uns war es wichtig, dass das nichts von einem Kostüm und der damit einhergehenden Künstlichkeit hat. Oberste Devise war, dass dieses Körpergewicht so authentisch und menschlich wie möglich aussieht. Es dauerte jeden Morgen sechs Stunden, all die einzelnen Prothesenteile anzulegen, inklusive der Kabel und Schläuche, die dafür sorgten, dass stets überall genug kaltes Wasser durchfloss, damit ich unter all dem Material nicht zu viel schwitzte. Ein wenig fühlte ich mich wie ein Formel 1-Wagen beim Boxenstopp, so viele Crew-Mitglieder waren jedes Mal mit mir beschäftigt, wenn die Kamera nicht lief.

Auch angesichts der engen Wohnung, in der sich die Handlung abspielt, klingt das fast klaustrophobisch …

Das habe ich nicht so empfunden. Klar, Charlies Welt ist klein, sich beschränkt sich mittlerweile auf dieses Zwei-Zimmer-Apartment irgendwo in Idaho. Er ist abhängig vom Fernsehen und Internet, und vor allem kann er nur überleben, wenn ihm Essen gebracht wird, sei es vom Lieferdienst oder von seiner guten Freundin, die sich um ihn kümmert. Was natürlich schon ein Teufelskreis ist, denn die Qualität der industriell verarbeiteten Lebensmittel in den USA ist meist schlecht und die Portionen sind riesig, weswegen man immer mehr und mehr isst und immer ungesünder wird. Nicht umsonst nennt man manche Landstriche inzwischen Lebensmittel-Wüsten: Dort haben die Menschen keinerlei Geschäfte in unmittelbarer Reichweite, wo sie frische Lebensmittel kaufen könnten, die gesund und nahrhaft sind. Da kaufen die Leute an Tankstellen ein, alles ist abgepackt und künstlich hergestellt. Aus diesem Kreislauf können Menschen mit Übergewicht eigentlich kaum ausbrechen.

Haben Sie sich mit Menschen unterhalten, die sich in genau solchen Situationen befinden?

Ja, ich bin mit der Obesity Action Coalition (gemeinnützige Organisation, die sich dafür einsetzt, Menschen, die von der Krankheit Fettleibigkeit betroffen sind, eine Stimme zu geben; d. Red.) in Kontakt getreten und habe mir von Menschen dort ihre Geschichten erzählen lassen. Ich bin selbstverständlich kein Psychologe und mir sicher, dass es sehr unterschiedliche Gründe gibt für diese Form von Übergewichtigkeit. Aber mir fielen schon ein paar Gemeinsamkeiten auf in dem, was mir diese Menschen anvertrauten. Fast alle von ihnen haben in ihrer Jugend erlebt, dass jemand grausam und gemein zu ihnen war, vor allem verbal. Fast immer waren das männliche Autoritätspersonen, oft der Vater. Sprache kann schlimmste Verletzungen anrichten, das vergisst man oft. Ich verstehe das nur allzu gut, weil ich selbst oft erlebt habe, wie es ist, wenn man beschimpft und lächerlich gemacht wird. Der Schaden, den man nur mit Worten anrichten kann, ist mitunter enorm. Nicht zuletzt in sozialen Netzwerken heutzutage sollte man sich das immer wieder verdeutlichen.

Hatten Sie diese realen Lebensgeschichten, die Ihnen anvertraut wurden, dann also beim Spielen der Rolle des Charlie im Kopf?

Ich trug sie tief in mir, all diese Verletzungen und Frustrationen, von denen ich gehört hatte. Dass wir so eng mit der Obesity Action Coalition zusammenarbeiteten und ihren Segen hatten, war für uns alle sehr wichtig, und ich hatte es sehr verinnerlicht, wie bedeutsam es für diese Menschen war, ihresgleichen mit Würde und Respekt auf der Leinwand repräsentiert zu sehen. Charlie als Menschen aus Fleisch und Blut zu zeigen und nicht bloß als dicke Witzfigur – das war stets das oberste Ziel.

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