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Nach dem Rausch

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Von: Harry Nutt

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Dealer verkaufen im Görlitzer Park Cannabis. 	Imago
Dealer verkaufen im Görlitzer Park Cannabis. Imago © Imago

Eine Ausstellung will den Dealern vom Görlitzer Park in Berlin ein Gesicht geben ? und verklärt dabei das Problem.

Der Tunnel, durch den man während der achtziger Jahre auf kurzem Weg die große Freifläche des ehemaligen Görlitzer Bahnhofs in Kreuzberg unterlaufen konnte, war ebenso praktisch wie bedrohlich. Er verband zwei durch den verwilderten Park voneinander getrennte Stadträume, aber zumindest spätabends erforderte die Durchquerung des Tunnels einen gewissen Mut. „Element of Crime“ stand dort eine Zeit lang in großen Lettern an der Wand des ehemaligen Zugangs zu den Bahngleisen, aber nur eingeweihte Freunde der lokalen Rockszene wussten, dass damit die inzwischen berühmte Berliner Band gemeint war. Von kriminellen Elementen aber ist dort noch immer die Rede. Als bevorzugter Ort des illegalen Drogenhandels hat der Park inzwischen internationale Berühmtheit erlangt.

Dabei war alles einmal ganz anders gedacht. „Für jeden etwas und alles für jeden“ lautete Mitte der achtziger Jahre das gestalterische Leitbild, nach dem im Rahmen der Internationalen Bauausstellung die überwucherte Stadtbrache zu einem vielfältig nutzbaren Volkspark umgestaltet werden sollte. Die Bilanz dieses Vorhabens aber ist verheerend. 

In einem gerade erschienenen Bildband über Berliner Parkanlagen kommt der Architekt und Stadtplaner Hans Stimmann mit Blick auf die Entwicklung des Görlitzer Parks zu einem ernüchternden Resümee: „Der Volkspark der unmittelbaren Vorwendejahre steht gut drei Jahrzehnte nach seiner Planung beispielhaft für die Rücksichtslosigkeit der Nutzer. (…) Eine Debatte unter Gartenarchitekten darüber, ob und wie die nutzungsspezifische Gestaltung aus der Mitte der 1980er Jahre den aktuellen Anforderungen eines Massenansturms angepasst werden könnte, wirkt unter dem Druck alltäglicher Sicherheitsprobleme wie ein Abschied von der Idee des Volksparks aus der Mitte des 19. Jahrhunderts.“ (Hans Stimmann, Jan Erik Ouwerkerk: Volkspark als Bühne städtischer Selbstinszenierung. Wasmuth Verlag.)

Der Park ist zu einem Kampfplatz divergierender Interessen geworden, und die Ausstellung „Andere Heimaten“, in der der amerikanische Künstler Scott Holmquist seit Dienstag auf die „Arbeit“ des Drogenhandels im Görlitzer Park verweist, ist zuletzt nicht gerade als fruchtbarer Beitrag zur Belebung der von Stimmann angesprochenen Debatte aufgefasst worden. Bereits seit Wochen müssen sich Holmquist und das Bezirksamt Kreuzberg, in dessen Friedrichshain-Kreuzberg-Museum am Kottbusser Tor er auf die Herkunft der Akteure des Drogenhandels aufmerksam machen möchte, den Vorwurf einer fragwürdigen Idealisierung gefallen lassen. Holmquists provozierende Bemerkung über „unerschrocken und tapfer arbeitende“ Dealer im öffentlichen Raum wurde nicht zu Unrecht als arglos verklärende Intervention in einer seit Jahren erhitzt geführten Debatte um Sicherheit und Wohlbefinden rund um den Görlitzer Park verstanden. Es bedarf schon einer gewissen Abgeklärtheit, um eine derart kulturell veredelte Verniedlichung eines sozialpolitischen Ärgernisses als künstlerischen Beitrag zu akzeptieren.

Dabei ist Holmquists Anliegen, den vermeintlichen Tätern ein Gesicht zu geben, um so die Ursachen des illegalen Drogenhandels noch einmal ganz anders zu thematisieren, nicht vollends abwegig. Die kleinen Dealer vom Görlitzer Park, so sieht es wohl der Künstler, sind als Täter auch wieder nur Opfer eines übergeordneten Gewaltzusammenhangs. Über solch einen Perspektivwechsel hinaus wäre es aber geboten, endlich auch eine andere Form der Täterschaft in den Blick zu nehmen. Wer von der überwiegend afrikanischen Herkunft der Dealer spricht, sollte von deren Abnehmern nicht schweigen. Der Görlitzer Park ist zu einer illustren Anlaufstelle zur Befriedigung forcierter Freizeitbedürfnisse geworden, wobei zwischen gezielter Verlängerung der Partylaune und körperlicher Selbstversehrung kaum noch zu unterscheiden ist. 

Berlins Attraktion als libertäre europäische Hauptstadt des Tuns und Lassens bezieht ihre Energie eben nicht nur aus der guten Luft, sondern seit geraumer Zeit auch aus relativ leicht zugänglichen verbotenen Substanzen. Und es ist trotz aller subtilen Reflexion über Täter- und Opferbegriffe nicht von der Hand zu weisen, dass das dazu gehörende Marktgeschehen Teil einer international agierenden organisierten Kriminalität ist. 

Das einst so locker dahergesagte Motto „Für jeden etwas und alles für jeden“ ist auf fatale Weise schiefgegangen, und der anschließende Versuch, von Kreuzberg aus eine liberale Drogenpolitik aufzulegen, darf ebenfalls als gescheitert angesehen werden. War die Eroberung der öffentlichen Parks zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch ein emanzipatorischer Akt, so ist sie, wie das Beispiel des Görlitzer Parks zeigt, zum Spielzeug einer rücksichtslosen Lebensstilelite geworden, die nach dem Ausklingen des Rausches rasch weiterzieht. Am Görlitzer Park geht es nicht nur um Ruhe und Ordnung für die Anwohner, sondern ganz grundsätzlich um die Zukunft des urbanen öffentlichen Raums.

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