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Nabelschau mit Nutzwert

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Unbelehrbare Greisin: Eine NDR-Reporterin besucht Margot Honecker im Exil in Chile.
Unbelehrbare Greisin: Eine NDR-Reporterin besucht Margot Honecker im Exil in Chile. © NDR

Die "Presenter"-Reportage, bei der der Journalist auch vor der Kamera auftritt, erlebt derzeit eine überraschende Renaissance im Fernsehen. Von Daniel Bouhs

Von Daniel Bouhs

Christine Adelhardt hat ein besonderes Hobby. Die vielleicht robusteste Reporterin des deutschen Fernsehens hat ihre Aufgabe darin gefunden, ausgewanderten Deutschen aufzulauern, die hier einst für Empörung sorgten.

Erst traf es den skandalumwitterten Richter und Politiker Ronald Schill. Der weiß seit gut einem Jahr, dass ihn auch ein Exil in Rio de Janeiro nicht vor Journalisten schützt. Und jüngst durfte Margot Honecker eine Erfahrung mit Adelhardt machen. Die Reporterin passte die Frau des ehemaligen DDR-Herrschers vor einer Villa in Santiago de Chile ab.

Adelhardt geht dabei in einem Format auf, das Fernsehmacher bisher oft belächelt haben, jetzt aber dem Politfernsehen einen modernen Anstrich verpassen soll. Die Reporterin kommt in einer so genannten Presenter-Reportage daher, in der meist alles noch dramatischer und spannender wirkt, als es ohnehin schon ist.

Fährt Adelhardt in der Reihe "Panorama - die Reporter" heute etwa mit ihrem Wagen vor Honeckers Anwesen vor, wackelt und verschwimmt das Bild des Kameramanns, der sich hinter einem Baum versteckt, als drehe er einen Krimi. Und trifft sie einen Ex- Häftling, wird auch das in Szene gesetzt, als sei es ein Geheimtreffen. Doch was so dilettantisch wirkt, hat Methode. Etwa die, dass Reporter zu Protagonisten werden, um die Zuschauer durch ihre Recherche zu führen.

Damit das klappt, sind sie nicht nur ständig im Bild. Fast immer sind dafür auch zwei Kameras dabei statt wie üblich nur eine. Zudem kommt meist ein Regisseur mit, der wie auf einem Filmset Anweisungen gibt. Journalismus wird da in eine Dramaturgie gezwängt - und mit Filmmusik aus Hollywood unterlegt.

Das heißt nicht zwangsläufig, dass die Filme an Tiefgang verlieren - im Gegenteil: Gerade weil dieses Prinzip so aufwendig ist, recherchieren die Redaktionen oft länger und intensiver, als sie das für klassische Formate täten. Und auch die Dauer-Präsenz der Reporter kann ein Plus sein. Stephan Wels, Chef von "Panorama", sagt etwa, der Zuschauer könne erleben, "wie der Reporter mit einem Thema ringt und wie er sich in der direkten Konfrontation mit Verantwortlichen schlägt".

Pure Selbstinszenierung

Oft kann der Zuschauer aber vor allem auch sehen, wie wichtig sich die Reporter nehmen, damit das Format funktioniert. In einer früheren Sendung zur Finanzkrise platzte Adelhardts Kollegin Anja Reschke etwa in die Pressekonferenz einer Bank rein. Während die anderen dem Vorstand lauschten, lief um Reschke ein Kameramann herum - pure Selbstinszenierung. "Wir müssen aufpassen und im Zweifel den Fuß vom Gas nehmen", sagt Wels.

Die Frage, ob so ein Film "eine Nabelschau unserer Leute" ist, sei "völlig legitim". Das selbstbewusste Auftreten der Reporter sorge jedoch oft für "eine Erhellung". Aber nicht immer: NDR-Chefreporter Christoph Lütgert wandte sich nach seinem Versuch, Peer Steinbrück Fragen zu stellen, aufgeregt zur Kamera und sagte dem Minister eine "generöse Tour" nach, die er "hasse" . Reporter können sich in diesem Format eben auch selbst entlarven

Das Prinzip, Reporter mit großem Aufwand ins Bild zu rücken, ist nicht nur in der ARD angekommen. Zuletzt adaptierten die "ZDF.reporter" diese Machart - wenn auch nur für eine Testausgabe. Die Mainzer beauftragten dafür die Hamburger Produktionsfirma Elb Motion Pictures (EMP), "ZDF.reporter unterwegs" zu entwerfen. Auf dem Schirm sah das dann dem ähnlich, was "Panorama" probiert. Kein Wunder: EMP produziert beide Sendungen.

Norbert Lehmann, Chef der "ZDF.reporter", hält viel von der Presenter-Reportage. Er spricht von "ZDF.reporter - Next Generation" und einer "enormen Motivation für unsere Leute". Der Sendung tat das jedenfalls gut: Die "ZDF.reporter" waren mit ihrer Sonderausgabe so stark wie lange nicht, fast schon investigativ.

Das ZDF hat seine erste Sendung dieser Art jetzt an die Marktforschung gegeben: Testpersonen sollen sagen, was sie gut und was sie weniger toll finden. Klappt alles, werden Reporter im nächsten Jahr noch häufiger richtig präsent sein. Und auch bei "Panorama" haben sie für 2010 schon acht Sendeplätze im Dritten festgezurrt. Wels sagt gar: "Wir wollen mehr machen." Im NDR, aber möglicherweise auch im Ersten.

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