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Zum Tod Burt Bacharachs: Der Melodienmacher

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Von: Harry Nutt

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Burt Bacharach mit der Sängerin Dionne Warwick.
Burt Bacharach mit der Sängerin Dionne Warwick. © afp

Zum Tod von Burt Bacharach, der Welthits am Fließband schrieb.

Als der bereits 90-jährige Burt Bacharach im Sommer 2018 zu einem einzigen Deutschlandkonzert im Berliner Admiralspalast auftrat, begann der Abend für ihn, wie er für viele Musiker keineswegs verlässlich endet: mit stehenden Ovationen. Ein warmer Applaus strömte dem in schiefer Haltung, aber nicht gebeugt auf der Bühne stehenden Pianisten und Komponisten allein deshalb entgegen, weil er gekommen war. Gleich zur Begrüßung rückte er dann die Dimensionen zurecht, die es im weiteren Verlauf des beglückenden Abends zu verhandeln galt. Er sei schon mal in Berlin gewesen, damals mit Marlene Dietrich, kurz nach dem Krieg.

Mit Burt Bacharach ist ein Jahrhundertkünstler gestorben, der mit seinen Melodien ein Klanguniversum geschaffen hat, das bis heute das Leben von vielen umhüllt, selbst wenn sie den Namen Bacharach noch nie gehört haben oder ihn mit einem schönen Städtchen am Rhein in Verbindung bringen.

Man rufe eine beliebige Abfolge nur einiger Songs auf, und schon fallen die Erinnerungen wie Münzen in einen Zeitschacht des eigenen Lebens. „Is This the Way To San José?“, „Raindrops Keep Falling On My Head“ – für Zeitgenossen, die in den 60er und 70er Jahren sozialisiert wurden, waren Bacharach-Lieder die Musik der Eltern, die aber doch so viel Verführungskraft zu entfalten vermochten, dass sie die Grenze zum Pop streiften, der bald die Charts dominierte. Signifikant für die genreüberschreitende Kraft der Bacharach-Kompositionen ist „I’ll Never Fall In Love Again“ aus dem Jahr 1969, das sowohl in der Version von Dionne Warwick als auch Bobby Gentry zu einem Ohrwurm wurde. Bacharachs Melodien waren der Sound, der schon da war und für viele heute erst seine klangliche Vielfalt freizugeben vermag, weil man sich nicht mehr mit allzu engen Genrevorlieben abgeben muss.

Bacharach schrieb Hits für viele Interpreten, etwa Frank Sinatra, Neil Diamond, Tom Jones und Dusty Springfield – das Who Is Who der US-amerikanischen Unterhaltungsmusik, die lange als Easy Listening geschmäht wurde. Die Leichtigkeit aber atmete die zeitlose Modernität einer klanglichen Anschlussfähigkeit, die heiter sein und tief bewegen konnte. Natürlich verführen Bacharach-Stücke auch dazu, sie für situative Gefühlslagen zu missbrauchen. In der Corona-Pandemie etwa erklang jeden Abend mehrfach sein „What the World Needs Now“, das durch die permanente Wiederholung Gefahr lief, zum synthetischen Trost-Ding zu verkommen. Aber nur fast – als ein Radiosender am Donnerstagnachmittag die Todesnachricht mit dem Lied aus dem Jahr 1965 in der Version von Jackie DeShannon verknüpfte, waren ein paar Tränen der Rührung nicht zu unterdrücken.

Perlen des Songbooks

„What the World Needs Now“ stammt aus der ungemein produktiven Songschmiede, die Bacharach über viele Jahre mit dem Texter Hal David unterhalten hat. Zu Dutzenden schrieben die beiden Welthits, die heute zu den Perlen des Great American Songbooks gehören. Die Zusammenarbeit mit der Soulsängerin Dionne Warwick bildete die ergiebigste Phase der beiden. Sie haben Klassiker hervorgebracht wie „Anyone Who Had A Heart“, „Walk On By“ und „Reach Out For Me“.

Man überliest heute leicht den zur Phrase geronnenen Satz, Dionne Warwick sei Bacharachs Muse gewesen. Tatsächlich hat keine Sängerin länger und erfolgreicher die Songs des liebenswürdig-selbstbewussten Hitfabrikanten präsentiert, der in zunehmenden Alter seine Songs gern auch einmal selbst am Piano begleitete wie im Berliner Konzert das Stück „Alfie“ oder den Klassiker „A House Is Not a Home“. Wenn überhaupt, dann war Dionne Warwick eine überaus widerspenstige Muse. „What the World …“ hatte sie zu singen abgelehnt, es klinge ihr zu sehr nach Country und auch ein wenig zu pastoral. Später nahm sie das Stück aber doch in ihr Repertoire auf, wo es trefflich neben dem längst zeitlos erscheinenden „I Say a Little Prayer“ zur Geltung kam.

Was all diese Lieder miteinander verbindet, ist jene unverwechselbare Mischung aus schwarzem Soul und der Eigenheit eines Bacharach-Songs, stets ein wenig die Grenze zum Seichten zu berühren, ohne diese je zu überschreiten. Als Probe aufs Exempel dafür könnte „I Just Don’t Know What To Do With Myself“ dienen, das später von Jack White und den White Stripes gecovert wurde und für dessen Video Kate Moss lasziv an der Disco-Stange tanzte. Bei Dionne Warwick klang das alles noch ein wenig züchtiger, aber es zeigt doch auch, welch libertär-exzentrisches Potenzial in einer Bacharach-Komposition schlummert.

Der 1928 geborene Burt Bacharach wuchs in einer jüdischen Familie in New York auf, der Vater war Journalist, die Mutter Musiklehrerin. Seine ersten Stücke hatte er 1947 geschrieben, in den 50er Jahren tourte er als Pianist, Arrangeur und Bandleader einige Jahre mit Marlene Dietrich. Im Konzert von 2018 war das Finale dem Lied „That’s What Friends Are For“ vorbehalten, ehe sich das Publikum die „Raindrops“ als Rauswerfer selbst singen sollte. Kitschig? Na klar. Aber auch eine Art musikalische Rückholung, nach der man glücklich summend in die Nacht entschwand.

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