Yves Tumor „Praise a Lord“: Derzeit bin ich ein Popstar

Yves Tumor und das erstaunliche Album ,,Praise a Lord Who Chews“.
Ein Popalbum von Yves Tumor: Es war eine große Überraschung, als vor drei Jahren ,,Heaven to a Tortured Mind“ herauskam, denn die sich als nonbinär definierende US-amerikanische Person – als Sean Bowie vor einer nicht genau bekannten Zahl von Jahren in Miami geboren – war mit elektronischer Experimentalmusik eingeführt. Die Alben erscheinen bei dem in Sachen Electronica legendären Label Warp Records, dem Hort von Größen wie Aphex Twin, Autechre, Nightmares on Wax und Squarepusher. ,,Weird and Radical Projects“, die Worte hinter den Buchstaben von Warp, taugen passgenau als Umschreibung für den ästhetischen Ansatz von Yves Tumor. Die bisherigen Alben seit Erscheinen des Debüts ,,When Man Fails You“ waren instrumental; die Stimme tauchte allenfalls als Sample oder doch in einer hochverarbeiteten Form auf.
Mit ,,Praise A Lord Who Chews But Which Does Not Consume; (Or Simply, Hot Between Worlds)“, dem fünften Langspieler, knüpft Yves Tumor an den vorhergehenden an. Ein Popalbum, ein Songalbum also wiederum, doch der Sound ist ein ganz anderer. Pop ist das von eigener Art, weit entfernt von einer hitlistengängigen Stromlinienform.
Immer wieder weckt die Musik Assoziationen an Prince und seine Exzessivität. Hier nun allerdings ist die Funkyness und Souligkeit von einer erheblich räudigeren Art. Wenn man es denn auf eine griffige Formel bringen will: Prince trifft Nirvana. Wegen der Versöhnung von Poppigkeit und Experiment wurde in einer Kritik zum vorigen Album darüber sinniert, ob Tumor wohl darüber nachgedacht haben mag, wie die Miete bezahlt werden kann – es sind wesentlich einträglichere Elektropopmodelle bekannt. Naheliegend scheint, dass die Kunst-Ecke womöglich zu eng wurde – zumal diese ja nicht wirklich verlassen wird.
Das Album:
Yves Tumor: Praise a Lord Who Chews.... Warp Records/Rough Trade.
Eine Menge Seltsamkeit
Als wichtigen Einfluss nennt Yves Tumor die Industrial-Pioniere Throbbing Gristle. Die Produktionsweise – mitgewirkt hat unter anderem Noah Goldstein, der schon für Drake, Frank Ocean und Kanye West gearbeitet hat – ist vom HipHop hergeleitet, die Songform wird – abgesehen vom Instrumental ,,Purified By the Fire“, das gut auf eines der frühen Alben gepasst hätte – nie ernstlich aufgelöst. Doch Weirdness, Seltsamkeit, hat es nach wie vor jede Menge. Geschmeidigkeit ist etwas anderes.
In den Texten tauchen zwar unter anderem klassische Motive wie die unglückliche Liebe auf, doch gleich in dem am Anfang stehenden Elektropunkkracher ,,God is a Circle“ spricht das lyrische Ich von Zweifeln an seiner Identität und davon, wie es sich beobachtet fühlt von Gott und den Menschen.
Yves Tumor mag die musikalischen Rollenspiele. In einer Textzeile wird das thematisiert: ,,Derzeit bin ich ein Popstar“ heißt es in der im Soulfalsett vorgetragenen, jedoch mit Metallgitarren gekreuzten Ballade ,,Parody“. Parodieverfahren nennt man das revidierende Aufgreifen von vorgefundenem Material in der klassischen Musik. In einem etwas anderen Sinne „parodiert“ und kreuzt Yves Tumor popmusikalische Stile. Man darf gespannt sein, womit Tumor sich als nächstes beschäftigen wird. Das Unerwartete ist zu erwarten.