Wilco in der Alten Oper Frankfurt: Ein schwerer Fall von Liebe
Wilco in voller Pracht und bei überbordender Stimmung in der Alten Oper Frankfurt.
Klauen. Das ist womöglich der wichtigste unter den Ratschlägen, die Jeff Tweedy in seinem nun auch in deutscher Sprache vorliegenden Buch „Wie schreibe ich einen Song“ Interessierten mit auf den Weg gibt. Das hört man den Songs des Vorstehers von Wilco auch an. Einige Lieder auf „The Whole Love“ (2011) beispielsweise muten an wie die besten Beatlessongs seit der Auflösung der Beatles – wobei es selbstredend nicht um ein Nachäffen geht, sondern um den Gebrauch des Überlieferten als Ausgangspunkt eines eigenen schöpferischen Prozesses. Das hat Tradition schon in der Gestalt des Studiums von Partituren anderer Komponisten bei Bach, Beethoven & Co..
Bei Uncle Tupelo, Tweedys erster Band Anfang der neunziger Jahre, ging es um eine Suche nach neuen Ufern im Geiste der gerade vergangenen Ära von Punk und Post Punk – das Resultat war ein neues Genre, das zunächst Alternative Country und später Americana genannt wurde. Mit Wilco, gegründet 1994 in Chicago, drang Tweedy tiefer in die Tradition ein – ohne dass sich die Band ihr nostalgisch hingegeben hätte.
Wilco gastierte nun im Zuge der Konzertreise zum jüngsten, wiederum großartigen Album „Cruel Country“ in der Frankfurter Alten Oper. Wie so viele Konzerte derzeit war auch dieses eher mäßig gut besucht – bei gleichwohl überbordender Stimmung.
Country ist seit jeher ein mehr oder zwischenzeitlich auch weniger grundlegendes Element für diese Band. Nun bekennt sie sich erstmals explizit dazu. Ausgeprägt klassisch darf man sich das nicht vorstellen, es tauch an diesem Abend keine Fiedel auf, und das Banjo erst spät, in der Zugabe. Häufiger dagegen ist die Pedal Steel Guitar zu hören. Es ist der Country Rock der späten sechziger Jahre, auf den sich Wilco auf „Cruel Country“ beziehen.
In Frankfurt präsentiert sich die seit anderthalb Jahrzehnten stabile Sextettbesetzung mit Lust als veritable Rockband. Die Songs von „Cruel Country“ – mit der Liebe zum Heimatland Amerika ist es auch für Tweedy kein Leichtes – stellen sich in den Konzertfassungen bei weitem nicht so intim und quasi sophisticated dar. Auf der Bühne sucht Wilco die ungetrübt dralle Show-Pracht, das Rock-Entertainment der großen Gesten in einer auch im Prunk noch erlesen prätentionsfernen Spielart.
Da sind durchtrieben krachende Soli vom Leadgitarristen Nels Cline, einer Kapazität nicht zuletzt auch in Sachen ausgefuchster Rückkopplungseffekte. Erheblich die handwerkliche Finesse rundum. Geschätzt dreißig (!) elektrische und akustische Gitarren kommen zum Einsatz. Doch geht es hier nicht um eine rockzirzensische Gigantomanie. Das ist Könnerschaft, die auch in den Augen von Anhängern einer DIY-Lehre satisfaktionsfähig erscheinen sollte. „Sei nicht du selbst!“ lautet im Übrigen eine weitere fundamentale Unterweisung aus Jeff Tweedys Songschreibelehre.