Wälse! Wälse! Wo ist dein Schwert?

Der verheißungsvolle Chemnitzer Ring stockt bei der „Walküre“, aber nicht stimmlich.
Im Verhältnis zum originellen und lebhaften Auftakt mit Verena Stoibers „Rheingold“ bietet der Chemnitzer Regisseurinnen-Quartett-Ring nun eine halbgare „Walküre“. Das ist etwas enttäuschend, wenn man daran denkt, wie man nun trotzdem alle Wagner-Interessierten unbedingt in dieses durchdachte „Rheingold“ locken soll und wie stark die „Walküre“-Regisseurin Monique Wagemakers etwa in Mainz Puccinis „La Bohème“ erzählte. Ihrem Ring-Beitrag hingegen mangelt es an einer zündenden Grundidee oder jedenfalls ihrer Umsetzung.
Der Ansatz, an die in der Tat tragische Kindheit von Siegmund und Sieglinde zu erinnern, führt zu einem kurzen Hänsel-und-Gretel-Auftritt zwischendurch und zu den Videoprojektionen einiger trauriger und gestresster Kindergesichter im Bühnenhintergrund. Das drehbare Bühnenbild von Claudia Weinhart zeigt hingegen romanische Bögen, die je nach Ansicht parsifalisch wirken oder wie ein Teil einer Industrie- oder Bahnkonstruktion. Dieses Gerüst dürfte in vielen Opern gut ausschauen. Zwischen dem ersten und dem zweiten Aufzug ist ein Bogenstück heruntergekommen, marode die Menschen- und Götterwelt. Vage auch das Hantieren mit einem durchsichtigen Vorhang, der sich schleppend nach hier und dort bewegt.
Das ist irritierend wenig, zumal Wagemakers aus der Konstellation Sieglinde-Siegmund-Hunding vorerst so gar nichts herauslockt. Dass sie auf Nothung, das Schwert, verzichtet – bescheiden genutztes Privileg einer Inszenierung, die nicht klären muss, wie das nicht vorhandene Schwert beim nächsten Mal repariert werden soll –, wäre interessant, wenn sie mehr daraus machte. Wenn sie etwas daraus machte.
Wotan-Fricka-Brünnhilde dagegen füllen den sich hier ausbreitenden Leerraum mit drei willensstarken, auch modisch eigenwilligen Figuren (zum Bühnenbild und zur Inszenierung in keinem näheren Verhältnis stehende Kostüme: Erika Landertinger), die sich nichts nehmen und nichts schenken: ein herrischer, aber unpathetischer und zu Zuneigung fähiger Gott, eine Ehefrau, die man nicht einfach als Spießerin abtun kann, eine gutgelaunte, aufmerksame Tochter.
Das unaufwendig überzeugende Duo Wotan-Brünnhilde führt auch gut durch den dritten Aufzug, in dem unterinszenierte Walküren immerhin auf alle möglichen Peinlichkeiten verzichten: straffe, kühle Reiterinnen mit fleischfarbenen Brustrüstungen (als wäre künstliche Nacktheit der Schutz, auch dies ein ins Leere laufender Ansatz). Sie machen ihren Job. Die erkältete Ortlinde wurde übrigens von der Seite durch die zu Vorstellungsbeginn eintreffende Wiesbadenerin Ruth Staffa gesungen.
Außer Nothung lässt Wagemakers auch das Feuer weg. Hinterm jetzt von Wotan gehaltenen Vorhang sieht man die Walküre forthuschen, so dass die Bühne leer ist, als sich der Vorhang sodann wieder öffnet. Ein Kind tritt dem langsam abgehenden Gott entgegen. Die Erinnerung an die kleine Brünnhilde? Eine Vorschau auf das Erscheinen Siegfrieds am nächsten Abend, den Ende September Sabine Hartmannshenn in Szene setzen wird?
Anregender ist es, zu diesem Zeitpunkt darüber zu staunen, wie es den Chemnitzern gelungen ist, eine so hochwertige Solistentruppe zusammenzustellen. Zunächst einmal verwirrt und bezaubert Rollendebütantin Christiane Kohl als Sieglinde, die mit einer lieblichen, sehr jugendlichen Agathe-Stimme meisterhaft besteht und zum hier etwas lapidar gestalteten Abgang im dritten Aufzug mit reinstem Schönklang gewaltig auffahren kann. Ihr Partner Siegmund, der Ungar Zoltán Nyári, hält gut mit. Dass er etwas haushaltet, lohnt sich. Enorm dann das göttliche Trio: Aris Argiris (einst Ensemblemitglied in Frankfurt) ist nicht nur ein kraftvoller und bis zum Schluss ohne hörbaren Verschleiß großer Wotan, er ist auch markant und über Stunden modulationsfähig. Und gibt es auch philosophischere Götter, so doch kaum menschlich sympathischere.
Wem stumpfsinnige Wotan-Darsteller ein Graus sind, bekommt hier etwas geboten. Monika Bohinec (schon im „Rheingold“ dabei) ist eine ebenbürtige Fricka mit energischer, nicht schneidender, in den Mittellagen vollendeter Stimme. Titelheldin Dara Hobbs, das hochdramatische Sieglinde-Pendant, lässt fein austarierte Stimmkultur und erst am Ende forcierte Töne hören, wie überhaupt alle Beteiligten – auch der sonore Hunding von Magnus Piontek, auch die fitten Walküren – ohne die in Ringen schwer vermeidbaren Grobheiten und Gewaltakte auskommen. In diesem Zusammenhang soll allerdings auch das mittelgroße Opernhaus hochleben. Darstellerisch zeigen vor allem Argiris, Bohinec und Hobbs, dass etwas mehr Regiefantasie auf fruchtbaren Boden gefallen wäre. Wie die Dinge liegen, wirkt das Spiel der drei etwas freihändig.
Felix Bender dirigiert die Robert-Schumann-Philharmonie gepflegt und verhalten und selbst an den einschlägigen Stellen ohne erhebliche Aufwallungen. Das ist offenbar Konzept, lässt die tatsächlich häufig dastehenden Sängerinnen und Sänger gut dastehen, nimmt aber auch eine Spannungslosigkeit in Kauf. Starke, sichere Instrumentalsoli bezeugen, dass es sich hier nicht bloß um ein zusammengekauftes Kunstprodukt handelt.
Opernhaus Chemnitz:
22. April. www.theater-chemnitz.de