Viel Kleinteiligkeit

Das London Symphony Orchestra mit Josef Suks zweiter Sinfonie in Frankfurts Alter Oper.
Meine Zeit wird kommen“ soll Gustav Mahler zeitlebens orakelt haben, und zum Jubiläum seines 100. Geburtstags trat die Voraussage ein. Für den 14 Jahre jüngeren Josef Suk, der 1935 starb, steht eine Wiedergeburt noch aus, wenngleich immer wieder Fürsprecher seines Werks auftauchen, wie jüngst der neue Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, Kirill Petrenko. Der hält den Schüler von Antonín Dvorák „für einen der wahrhaft großen romantischen Komponist*innen, der zu Unrecht ein Schattendasein im Repertoire friste“, wie die Frankfurter Alte Oper in ihrem Programmheft zum Gastspiel des London Symphony Orchestra formulierte.
Die Londoner Musiker hatten Josef Suks 2. Sinfonie im Gepäck – ein gut einstündiges, fünfsätziges Werk, das den Beinamen „Asrael“ trägt. Einer der Todesengel der islamischen Tradition, was sicherlich Bezug nimmt auf den Tod des Schwiegervaters des Komponisten, Antonín Dvorák, sowie dessen Tochter Otylka, die Suks Ehefrau war.
Fast statische Klangwucht
Ein langwieriges, viel gestalterische Kleinteiligkeit bei unspezifischer dramaturgischer Dynamik vermitteltes Geschehen bestimmt die mächtige Orchesterbesetzung. Sie kennt einen getragenen, wenig herausfahrenden Duktus und eine eher langsame Verlaufsform. Dabei wird das Potential der Klangwucht selten und dann fast statisch genutzt. Stellt man die Suk’sche Klangsprache zwischen Mahler und Strauss auf der einen und Claude Debussy auf der anderen Seite, dann fehlt die geprägte, populistische und bunte Marsch-, Signal- und Ländlerwelt des einen und der gestische Parameter des anderen mit seinen zahlreichen Aggregaten der harmonisierten Klanggebärde. Und gegenüber Debussys polymorpher Differenzialität ist Suks vielgliedrige Stimmenführung doch zu sehr dem sinfonischen Habitus verhaftet.
Selbst wenn die Darstellung durch die unter einem wenig ausformulierenden Dirigat Sir Eliot Gardiners stehenden Musiker die Leuchtkraft und Ansprechbarkeit des Sukschen Klangs gemindert haben sollte, sei die Prognose gewagt, dass Josef Suks Zeit, wenn überhaupt, nicht so popularisierbar kommen wird, wie bei der Weltschmerz-Extrovertiertheit und dem Nostalgie-Sentiment seines Wiener Kollegen Gustav Mahler.
Was lag näher, als dem Schwiegersohn den Schwiegervater vorauszuschicken, und so gab man in der Alten Oper zunächst das Dvorák’sche Cellokonzert. Es ist eines seiner populärsten Werke – gewissermaßen eine „Sinfonie aus der Neuen Welt“, transmutiert ins Konzertante. Truls Mørk spielte mit einem spröden, etwas engen und wenig singenden Ton, der gut zu der gedrosselten Tutti-Führung Gardiners passte, die den blutvollen und emotionsgeladenen Musikanten-Kreislauf mit geringeren hypertonischen Werten ausstattete als möglich wäre.