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Uwe Dierksen in der Volksbühne: Gestörte Signale und ihre Rhythmen

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Von: Hans-Jürgen Linke

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Franziska Junge als Zugewandte. Foto: Andreas Malkmus
Franziska Junge als Zugewandte. Foto: Andreas Malkmus © Andreas Malkmus

Uwe Dierksens inszeniertes Konzert „Hirngesprinste / Pipedreams“ in der Volksbühne.

Wie spürt man die Zeit? Gute Frage. Michael Krüger stellt sie in einem Text, den Uwe Dierksen für sein inszeniertes Konzert „Hirngespinste / Pipedreams“ als Prolog gewählt hat, und es gibt viele Antworten. Zum Beispiel spürt man Zeit in dem, was geschieht, während sie vergeht. Etwa in Beobachtungen, die man notiert, während ein Vogel – „er hat die Größe einer Meise, ein Gesicht wie eine Maske“ – fragt: „Warum schreibst du den ganzen Tag“?

Rhythmus lässt verstehen

Zeit spürt man auch in ihren Unterteilungen. In der Musik ist das die Aufgabe des Parameters Rhythmus, und es gibt Gründe für die Annahme, dass Zeit ohne Rhythmus nicht spürbar wäre und die Welt nicht verstehbar.

Der Gattungsbegriff „inszeniertes Konzert“ markiert eine Anreicherung oder Aufladung. Sie kann sich im Ergebnis auch destruktiv auswirken: Inszenierung kann ein Konzert zum Platzen bringen. Musik will gespielt, Lieder wollen gesungen werden, nicht inszeniert, wir sind hier ja nicht in der Oper.

Uwe Dierksen ist als Posaunist des Ensemble Modern und erfahrener Komponist von Filmmusik vertraut mit ästhetischen Grenzüberschreitungen und mit der enormen Bedeutung von Rhythmus für jegliches Verständnis. In vielen seiner Arbeiten ist seit je eine Neigung zu etwas wie Popmusik erkennbar, so auch am Lineup seiner Band – ein Septett mit Sängerin, zwei Gitarren, Keyboards, Bass, Schlagzeug, Posaune. Aber in die Klangwelten seiner Version von Pop schmuggelt er Spieltechniken sowie klangliche und harmonische Elemente Neuer Musik. Für Popmusik eine Zumutung, genau wie es für Neue Musik eine Zumutung ist, im Gewand von Pop zu erscheinen.

Vielleicht ist also Zumutung ein Prinzip dieser Form. Auch darin, dass die Texte meist eher gesprochen als gesungen werden, und dass es sich um komplexe Lyrik oder lyrische Prosa handelt, die der Liedform einiges zumutet.

Inhaltlich geht es in den Texten, die Dierksen zusammengestellt und zum Teil selbst geschrieben hat, um Wünsche und Träume, um endzeitliche Gefühlslagen und deren untergründige Zusammenhänge, um pandemische Erfahrungen und Isolation, um Zuwendung von Menschen in weißen Kitteln und um düstere Aussichten. Weil Hirngespinste und Wunschträume immer etwas Ablenkend-Zielloses haben, schlendern die Texte mit schein-harmlosem Gestus an den Rändern von Abgründen entlang, die sie gleichwohl stets im Auge behalten, oder balancieren über diesen Abgründen auf schwankenden Stegen.

Komfortabel ist das nicht. Außerdem ist die Kaffeemaschine kaputt, Signale sind gestört, das Gesicht wird gelb vom Gift, ein Entlüftungsschlüssel für die Heizung verweist auf die langsam abhandenkommende Fähigkeit, in allem einen Sinn zu sehen. Aber die Welt ist doch schön! Naja, manchmal.

Beklemmende Dringlichkeit

Dierksens inszeniertes Konzert ist viel mehr als eine Reaktion auf pandemische Zeiten oder biografische Momente. Es ist, in täuschend lässiger Gestalt, ein ästhetisches Ereignis von beklemmender Dringlichkeit, zugänglich durch seine übergreifende Rhythmik. Die Posaune streut kurze Phrasen oder Geräusche ein und singt manchmal mit der Sängerin (Franziska Junge) parallel oder unisono. Auf dem Bühnenprospekt gibt es Farbstimmungen oder Projektionen von Bäumen und anderen Lebewesen, auch ein Heizungsentlüftungsschlüsselballett. Und auch wenn der letzte Satz lautet „life is an evergreen“, endet damit nicht alles.

Volksbühne im Großen Hirschgraben, 12. und 26. Februar. volksbuehne.net

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