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Ute Lemper in Wiesbaden: Hotline ins Jenseits

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Von: Marcus Hladek

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Ute Lemper im Kurhaus Wiesbaden.
Ute Lemper im Kurhaus Wiesbaden. © Ansgar Klostermann/RMF

Ute Lempers „Rendezvous with Marlene“ beim Rheingau Musik Festival.

Wer wie Ute Lemper, die Münsteraner Diva auf internationalem Parkett, seit Ende der 80er in Musicals wie „Cabaret“ und „Chicago“, mit Songs von Kurt Weill und Alben wie „Paris Days, Berlin Nights“ berühmt wurde, muss die Musik und Kultur der Zwischenkriegszeit bis hin zum Kalten Krieg wohl lieben. Als Marlene Dietrich die fesche Lola im „Blauen Engel“ spielte und später vor GIs in Frontnähe sang, war das freilich ihr authentisches Hier und Jetzt, während die Dietrich-Affinität Lempers wie ein Leben im Zitat erscheint: ein goldener Käfig.

Festgelegt aufs Femme-fatale- und Lacklederne-Pussi-Image nach „Cats“ war Lemper indessen nie. Das zeigen Modernitätsschübe wie ihre „Punishing Kiss“-Welttournee 2017, die Mitarbeit an großen Filmproduktionen und Konzerte beim „Women of the World Festival“.

Ein langes Telefonat

Im Kurhaus Wiesbaden, wo der Genius loci konservative Ästhetik verheißt, hielt die virtuose Künstlerin mehr als ein Requisiten-Set mit Kleiderständer, Plattenspieler und Wein bereit. Sie brachte vor allem ihre Hotline ins Jenseits zum Glühen. Die Kernidee entnahm sie jenem dreistündigen Telefonat, das sie 1988 im Überschwang der Pariser „Cabaret“-Erfolge mit der Mit-Pariserin führte, nachdem sie sich bei der Dietrich brieflich für Pressevergleiche mit ihr entschuldigt hatte. Als Musicalstar und Max-Reinhardt-Seminaristin bringt Lemper die schnörkellos-heisere Telefonierstimme der gealterten, zeitlos gewordenen Heldin von damals gekonnt rüber, Vertraulichkeiten aller Art inklusive.

Der Abend war nur halb so lang wie das Telefonat, aber höchst tauglich, um nach langer Covid-Pause das alte Repertoire festzuzurren und bei den Großen Kraft zu tanken. Sich im Neuen verausgaben kommt später.

Lempers Hommage war mehr als die Fortsetzung ihrer von der Pest erstickten Tournee (seit 2019). Mit auf der Bühne: der Tangomusiker Romain Lecuyer (Kontrabass), am Flügel Vana Gierig, an der Geige Cyril Garac und ganz rechts der Schlagzeuger und Komponist Matthias Daneck (mutmaßlich, denn zu Gesicht bekam der Kritiker ihn nicht). Für großes Sentiment in Marlene-Songs wie „Where Have All the Flowers Gone?“, „Ruins of Berlin“, „Just a Gigolo“, „Falling in Love Again“ und „If I Had a Wish to Claim“, unweigerlich „Lili Marlen“ und „Blowin’ in the Wind“ (armer Dylan?) waren alle gut gerüstet, am schmachtendsten per Violine.

Wie Marlene-Ute über ihre fünfhundert Liebhaber (ohne die ONS?) plaudert, wie sie an alte Freunde wie Friedrich Hollaender erinnert oder an das Filmen mit Billy Wilder in Berliner Ruinen und sich mit Schals und Bolero-Jäckchen an jedes Lied heranpirscht, wie sie die „Illusions“ allfälliger Paradiese besingt und die grobe Reaktion deutscher Post-Nazis gegen sie beklagt, ist – berührend. Denn ach, die Liebe Deutschland – Marlene war zerrüttet, wieso? Weil sie ihr das Schlimmste nicht verzeihen konnten: dass Marlene politisch mit allem Recht und sie selbst von A bis Z Unrecht gehabt hatten.

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