„Two Geese By the River“: Keine Süßigkeiten zum Weglutschen

Das lyrisch-wache Duo-Album „Two Geese By the River“ mit Burkard Kunkel und Bob Degen
Es ist Herbst, das Laub der Bäume und Sträucher am Flussufer ist entsprechend eingefärbt, und die beiden Männer auf den Fotos sind warm angezogen. Der eine trägt ein Bassetthorn mit sich.
Aber ist das jetzt, beim Eröffnungsstück „Soliloqui“, das Bassetthorn oder nicht eher eine Bassklarinette? Ein paar Takte später beantwortet sich die Frage: so tief hinunter reicht das Bassetthorn wohl nicht. In anderen Fällen ist von Anfang an alles klar: dieses kraftvoll-obertongesättigte Klangspektrum, das kann nur die Bassklarinette sein. Und diese feinere, raue und heisere Melodielinie weiter oben, das ist das Bassetthorn. Beide gehören zur wohlklingenden Familie der Klarinetten, sind also eng verwandt, aber unterscheiden sich doch manchmal beträchtlich. Später, in „Paris – St. Rochus“, hört man die im zeitgenössischen Jazz eher selten verwendete Zither.
Burkard Kunkel ist der Mann mit der Zither und den Klarinetten, am Klavier hört man Bob Degen, und wenn man Bob Degen hört, fragt man sich leicht mal, warum er nicht so einer wie Keith Jarrett geworden ist. Musikalische Gründe gibt es dafür eher nicht.
Und was machen die Gänse da? Es sind nicht diese wenig beliebten Nilgänse, sondern zwei von den guten alten Nils-Holgersson-Gänsen. Ihr Gefieder strahlend weiß, die Hälse gereckt, schauen sie aufs Wasser hinaus – wachsam wie die Gänse der Juno weiland im alten Rom und vermutlich nicht schweigsam.
Eine Idylle ist das allerdings nicht. Eher liegt etwas wie eine herbstlich ernste, weise Angespanntheit über allem. Und natürlich auch über der Musik des Duos.
Die Musik hat intensive lyrische Qualitäten, und ihr nuancierter dialogischer Charakter kommt ohne den Hauch einer Routine aus. Es gibt keine periodische Rhythmik, keine landläufigen Harmoniefolgen, keine traditionelle Formensprache.
Das Album:
Burkard Kunkel, Bob Degen: Two Geese By the River. Triangolo.
Nur das Nötigste
Statt dessen gibt es auf „Two Geese By the River“ eine überaus reduzierte Melodie- und Harmonie-Seligkeit: Immer nur das Nötigste. Keine Süßigkeiten zum unbedachten Nebenher-Weglutschen, sondern Tempi, die keiner Metrik zu entsprechen scheinen und sich nur aus dem Dialog und dem gegenseitigen Zuhören ergeben. Eine hohe Aufmerksamkeit beider Musiker füreinander, Aufeinander-Warten, Einander-Überholen, nahes Miteinander, hin und wieder etwas energischere Reibungen.
Dabei warme, abwechslungs- und variantenreiche Klarinetten-Artikulationen, präzise schwingendes Vibrato, zuweilen heisere Tongestaltungen, gemessene Ekstasen, eine Stimme, die sich einmischt. Am Klavier harmonische Beharrlichkeiten und feste Untergründe, dann pointillistische Blicke in eine blaue Ferne. Gemessene pianistische Statements, erstaunliche kurze Soli, die nicht lange vor sich hin erzählen, aber mühelos abheben mit feinsinniger Anschlagskultur. Immer geht es einen Schritt weiter, aber der Schritt muss nicht unbedingt groß sein.
Einige der Stücke auf dem „Geese“-Album stammen von Burkard Kunkel – zum Beispiel die recht munteren „Fische am Grund“, denen möglicherweise auch ein Teil der Gänse-Aufmerksamkeit gilt. Einige hat Bob Degen geschrieben – zum Beispiel das gedankenreiche „Dilemma For Two“. Aber für die meisten Stücke zeichnen beide Musiker zusammen verantwortlich. Es sind dreizehn verschiedene Geschichten, die von Anfang an etwas wie einen gemeinsamen Ton haben, den sie Schritt für Schritt entfalten, erweitern, fortspinnen, konterkarieren.
Am Ende ist es dann doch ein beträchtlicher Weg gewesen, den die beiden miteinander zurückgelegt haben. Immer am Wasser entlang.