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Tony Lakatos & hr-Bigband: Coltraneske Freiheit

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Von: Stefan Michalzik

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Tony Lakatos. © hr/Sebastian Reimold
Tony Lakatos. © hr/Sebastian Reimold © Foto: Sebastian Reimold

Der Saxofonist Tony Lakatos sagt nach 28 Jahren „Goodbye!“ bei der hr-Bigband.

Die in Umlauf befindlichen Zahlen differieren. An der Einspielung von mehr als 300, je nach Quelle gar 400 Alben soll Tony Lakatos bislang beteiligt gewesen sein. Er tritt mit seinem eigenen Quintett in Erscheinung, unter anderem jeden Monat im Frankfurter Jazzkeller, und er arbeitet mit vielen internationalen Größen zusammen. Lange Zeit war er Mitglied von Jasper van’t Hofs populärer Ethnojazzband Pili Pili, aktuell gehört er dem am spirituellen Jazz orientierten Ensemble Web Web des Münchner Pianisten Roberto Di Gioia an. Das alles betrieb er neben seinem hauptamtlichen Engagement als Mitglied der hr-Bigband, 28 Jahre lang.

Nun geht der 1958 in Budapest geborene Abkömmling eines Roma-Musikerclans in Rente, mit 63 Jahren. Mit vier Konzerten an zwei Abenden im Sendesaal des Hessischen Rundfunks unter dem Titel „Goodbye Tony!“ wird das rauschend gefeiert. Das Quintett des Tenorsaxofonisten, der zu den Großen seiner Generation zählt, hat mit der hr-Bigband unter der Leitung ihres Chefdirigenten Jim McNeely fusioniert – wozu nicht viel gehört, die Schnittmenge beträgt ohnedies 80 Prozent, mit Lakatos sowie Axel Schlosser an Trompete und Flügelhorn, dem Bassisten Hans Glawischnig und dem Schlagzeuger Jean-Paul Höchstädter; hinzu kommt Michael Flügel an Klavier und Fender Rhodes Piano.

Nie zuvor wohl in einem Konzert der hr-Bigband sind Lakatos’ Qualitäten als Komponist derart herausgestellt worden. Für Umstürzlerisches ist er nicht gut, ausgeprägt dafür seine ganz einzigartige Handschrift in einem freien Umgang mit den Errungenschaften des modernen Mainstreams. Gewinnend ist das in seiner schwebenden Zeitlosigkeit und seiner Unverbrauchtheit.

Jim McNeely hat in seinen Arrangements den Fokus auf das Quintett gerichtet und das Großensemble in reich facettierten Farben mit höchstem orchestralem Klangraffinement in Szene gesetzt – für eine Reihe von Standards aus dem Repertoire historischer Tenoristen wie Coleman Hawkins, John Coltrane und Sten Getz sowie Stücke von McNeely selbst und von Michael Flügel.

Verve ohne Aufdringlichkeit

Und dann dieses in seiner traumwandlerischen Sicherheit großartige Spiel von Lakatos selbst. Punktgenau wirkt es in jedem Augenblick, dabei nie steril. So ungeheuer geschwind die improvisatorischen Läufe, wobei Lakatos tut nichts, was den konventionellen Rahmen des Neobops ernstlich sprengen würde. Aber er lässt einen eine coltraneske innere Freiheit spüren. Diese packende Verve bleibt unaufdringlich.

Wenn es gälte, ein Musterbeispiel für eine unprätentiösen Jazzinstrumentalisten zu finden, Tony Lakatos wäre die erste Wahl. Bescheidenheit auch im Angesicht der stehenden Ovationen am Ende. Ihn zu vermissen, dürfte er uns zum Glück wenig Gelegenheit geben. Seine Umtriebigkeit – siehe oben – wird davor sein.

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