Thomas-Kantorei: Die Ohren angreifende Gewalt
Die Thomas-Kantorei mit Haydns und Fehlings „Schöpfung“.
Die Schöpfung“ Joseph Haydns: eine Art göttlicher Freimaurer baut eine neue Welt, wo Ordnung, Sinnhaftigkeit, Nützlichkeit und Kausalität der Natur in schönster Eintracht mit Mann und Frau bestehen. Haydn, der die Londoner Loge besuchte, hat aus der Genesis, Psalmen und Miltons „Lost Paradise“ ein Schöpfungslob geschaffen, das eitel Sonnenschein aufklärerischen Glanzes ist. Kein wirklich religiöses Werk, denn dazu hätte es einer dialektischen Reflexion bedurft, wo die gefeierte Gottesebenbildlichkeit im Sündenfall der Gottesferne erbsündlich gestört ist. Haydns erleuchtender Aufklärung fehlt deren dunkle Seite.
Über Adam und Eva
Im Jahr 2008 hat Reinhard Fehling den dritten Teil der „Schöpfung“, der dem Beziehungsleben Adams und Evas gilt, durch eine Kreation ersetzt, in der von Haydn nicht genutzte Teile aus Miltons Vorlage sowie ein Text der Theologin Dorothee Sölle vertont wurden.
In der Heddernheimer Thomaskirche wurde dieses Werk jetzt durch die famose und offensichtlich unbeschadet durch die Corona-Krise gekommene, stimmgewaltige und artikulationsbewusste Thomas-Kantorei aufgeführt. Unter der souveränen und sachlichen Leitung Tobias Koriaths und mit dem trefflichen Frankfurter Musikkollegium rollte Haydns sonnig-liebliche Schöpfung in den Kernschatten des Anthropozäns, wo der Mensch, gottgleich sich wähnend, werkelt und vieles vermurkst.
Im neuen dritten Teil ist der Ton düster und dräuend, steigern sich die drei Schöpfungserzengel zu harter Klangform und ohrenangreifender Gewalt. Elena Fink bot eine mit dramatischer Kraft geführte Sopranstimme, Julian Habermann engagierte tenorale Beweglichkeit und Thilo Dahlmann sowohl Subtilität in der Stimmführung als auch kräftige Bass-Fundierung. Die akkordischen Ballungen hatten die Funktion einer antagonistischen Schöpfungs-Textur, die ihre Beziehung zu Haydn aber nicht ganz aufgab.
Die Thomas-Kantorei war der Stimmforcierung bestens gewachsen und hatte, wie die Solisten auch, dem ganz anderen Klangklima der beiden ersten Teile entsprechen können. Sölles Text um Reue, Hoffnung, Besserungswunsch und Einkehr wurde nach Art eines Melodrams auf einer rhythmisch-akkordisch changierenden Instrumentalebene von dem ehemaligen Erzengeltrio gesprochen, bevor das Gotteslob des haydnschen Finalchors das letzte Wort behielt.
Eine diskussionswürdige Form, die Haydns Aussage über sein eigenes Werk, das für weit gerührte Herzen besser funktioniere als eine Predigt, aufgegriffen und dabei seiner Naivität enthoben hat.