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The Dorf „Yes. No. Protest Possible“: Kann The Dorf schöner werden?

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Von: Hans-Jürgen Linke

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Jan Klares Ruhrgebiets-Musik-Kollektiv protestiert wortreich und polystilistisch.

The Dorf hat sich im Jahre 2006 im Ruhrgebiet zusammengefunden, da waren die zornig gesinnten, von Akustik-Klampfen begleiteten Protestlieder der 60er längst verklungen. Die Haltungen allerdings, die sich darin manifestiert hatten – wie basisdemokratische bis anarchoide Gesellschafts-Konzepte, Kriegsgegnerschaft, Konsumismus-Kritik, Keime ökologischen Denkens – waren nicht vergangen. The Dorf scheint mit unter anderem den kulturellen Errungenschaften dieser Jahre imprägniert.

Haufen, nicht allzu streng

Wer die Band in den letzten Jahren live gehört hat, hat vermutlich viel Spaß dabei gehabt. Sie tritt auf als ein nicht allzu streng strukturierter Haufen von maximal 30 Musikerinnen und Musikern verschiedener Provenienzen und Vorlieben. Auf der dorfeigenen Website liest man, wie das funktioniert: „Leute kommen zusammen, neue Gesichter stoßen ständig dazu, alte Bekannte verabschieden sich. Es gibt Streit um Grundstücke, Dorfälteste, Exkursionen und ein gemeinsames Essen. Der Begriff der ‚sozialen Skulptur‘ soll hier nicht verschwiegen werden. Touristen müssen einen gewissen Schmutzfaktor, plakative Aktionen, Dezibel und Energie in diesem Dorf allerdings schon mal in Kauf nehmen.“

Das Album:

The Dorf: YES. NO. Protest Possible. Umland Records.

Jazz, Neue Musik, Punk, ein improvisatorischer Gestus sind die stilistischen Eckpfeiler der Dorfmusik. Gründer und, sagen wir: Ortsvorsteher Jan Klare tritt in der Regel als Dirigent („air movement“) vor die Band und hat die meisten Stücke komponiert. Wobei bei einem so zusammengesetzten und der (nicht nur musikalischen) Kulturtechnik der Improvisation zugewandten Kollektiv das Wort „Komponieren“ auf verschiedenen Waagen unterschiedlich abgewogen werden muss.

Und nun dies: „YES. NO. Protest Possible“. Es ist die 50. Produktion des um The Dorf herum gegründeten Tonträger-Labels „Umland Records“, und das Cover leuchtet in kompromisslosem Schwarzweiß. Die Besetzungsliste nennt 26 Namen zuzüglich den des Ortsvorstehers, das Album umfasst neun Stücke, für die verschiedene Autoren Texte geschrieben haben. Es handelt sich ausnahmslos um Protestlieder.

Keines aber plätschert hitparadenplatzheischend vor sich hin. Die Gegenstände sind mehrgestaltig, es geht scharf, klar und auf polyphone Weise direkt zu. Es gibt satirische Bestandsaufnahmen (Lisa Danulat, „Tierfreier Nichtraucherhaushalt“), es geht um Kapitalismus als Todeskultur (Laurie Penny, „Capitalism“), um autoritäre Persönlichkeiten und Strukturen (Wolf Kampmann, „Tyrannenlied“) oder um Stimmen, die uns lenken wie Siri oder Alexa (Jörn Klare, „Du, Du, Du“). Ein fröhlicher Zorn herrscht hier. Jeder Song hat eine ganz und gar eigene musikalische Kontur, Stilzitate reichern den musikalischen Mikrokosmos der Band seit je an, und die Vokalistinnen Marie Daniels und Oona Kastner lassen keine Missverständnisse zu.

Die Arbeit an dem Album hat sich über einen längeren Zeitraum gezogen und geschah in einem regen Austausch von Noten und Homestudio-Einspielungen. Der Anteil der Improvisation ist viel geringer und die investierte kompositorische Arbeit viel gewichtiger als sonst üblich: Selbst die Dorf-Version der fünften Sinfonie Beethovens wies seinerzeit größere improvisatorische Anteile auf. Das Endresultat aber klingt nach schönem Schwarzweiß und nach dem vertrauten Hochdruck im Kessel, wie er sich in der dezentralen urbanen Landschaft des Ruhrgebiets lange halten kann.

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