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Er spricht mit seiner Gitarre wie sonst niemand

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Von: Christian Schlüter

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Keine Kompromisse seit über 50 Jahren: Jeff Beck.
Keine Kompromisse seit über 50 Jahren: Jeff Beck. © rtr

Jeff Beck spielt nach vier Jahren der Abstinenz roh und rau im Berliner Tempodrom.

Nach vier Jahren der Abstinenz war Jeff Beck am Dienstag wieder in Berlin. Zwar spielten er und seine Band diesmal nicht in der Columbiahalle, sondern in dem gut besuchten, wenn auch nicht ausverkauften Tempodrom. Aber die Truppe arbeitete sich durch eine ganz ähnliche, vor allem in der Reihenfolge der Songs veränderte Setlist. Damals, im Juni 2014, sollte nur einem Monat nach dem Berliner Konzert der Rest von Becks Europa-Tournee abgesagt werden: Den zu dieser Zeit immerhin auch schon 70 Jahre alten Briten plagten da gesundheitliche Probleme, wie es hieß. Warum tut er sich das an?

Nun wäre es allerdings falsch, dem alsbald 74-Jährigen zu unterstellen, er könne mit dem Konzertieren nur deswegen nicht aufhören, weil er wie andere Rockmusiker aus seiner Generation die ihm fehlenden Rentenansprüche durch das fortgesetzte Tourneegeschäft finanziell ausgleichen muss. Oder weil er einfach nicht genug Geld bekommen kann. Ja, die Rolling Stones spielen an diesem Freitag in Berlin. Nein, Jeff Beck verbreitet im Unterschied dazu auch keine rockmuseale Nostalgie-Wellness. Der Mann hat immer noch etwas zu sagen. Er spricht mit seiner Gitarre zu uns, wie dies sonst niemand vermag.

Um 20.05 Uhr gehen im Saal die Lichter aus. Die Bühne erstrahlt zuerst in Blau, dann in Rot. Schwere Elektrobeats wummern durchs Tempodrom, „Pull it“ zielt direkt auf den Magen. Mit Billy Cobhams „Stratus“ folgt der nächste Gewaltakt. Die erste Überraschung hier: ein Cello, gespielt von einer leidlich unbekannten Vanessa Freebairn-Smith. Elektrisch verstärkt bohrt und wühlt sich das gar nicht mehr so lieblich-zarte Streichinstrument durch den orchestralen Soundbombast. Und es erzeugt wie üblicherweise sonst nur die Keyboards mit ordentlichen beigemischten Halleffekten unendlich weite Klangflächen.

Becks weiße Stratocaster klingt derweil gewohnt roh, rau – sie liefert die Grundlage für den unerhörten Obertonreichtum, einen unermesslichen Klangschatz, der nun Stück für Stück geborgen wird. Spätestens bei dem John-McLaughlin-Klassiker „You Know You Know“ wird dann klar, worauf dieses musikalische Unternehmen zielt: die Erschaffung eines Klangmonsters in seiner ganzen sperrigen, schrecklich-schönen Anmut – in einem wilden Stilmix aus Blues, Funk, Fusion und Metal, aus balladesken Süßholzraspeleien wie „Cause We ’ve Ended As Lovers“ und rockabillyhaften Tanzaufforderungen wie „Lonnie On The Move“.

An dieser hochdynamischen Melange hat Rhonda Smith einen wesentlichen Anteil; die Bassistin gehörte gut zehn Jahre lang zur Band von Prince und entfaltet gegenüber der so feingliederigen wie vornehm zurückhaltenden Jazzmusikerin Tal Wilkenfeld, mit der Beck sonst zusammenarbeitet, den nötigen Druck.

Vinnie Colaiuta am Schlagzeug schließlich bringt in einem denkbar weitem Spektrum – es reicht von filigranem Drum ‚n’ Bass bis zu tumbem Stampfrock – das versammelte, herumfliegende und -irrende Klangmaterial in eine Form. Erst der Rhythmus erhebt das bloße Geräusch zur Musik.

Die Instrumentals der Band sind also eine perfekte Mischung. Aber dann ist da noch Jimmy Hall. Der Mann mit dem weißen Hut. Er schlägt auch das Tamburine. Aber das zählt nicht, denn er soll ja vor allem singen. In dieser Hinsicht hat sein operettenhaft tremolierendes Organ allerdings nicht viel beizutragen. Wo die anderen Musiker mit ihrem Instrument die Bühne betreten und ausfüllen, bringt er nichts weiter als seine Stimme mit, ein knödelndes Klischee, und dann eben auch noch seinen Hut. Jedes Gitarrensolo von Beck blamiert diesen Sänger, klingt es doch in seinen Phrasierungen und Nuancierungen ungleich stimmenhafter, einfach lebendiger.

Der Mann mit dem Hut ist also die zweite Überraschung an diesem Abend. Denn eigentlich ist Beck ein unerbittlicher Klangsucher. Er duldet keine Kompromisse, seit den Anfängen bei den Yardbirds in den 60ern hat er es mit niemanden und hat niemand es mit ihm lange ausgehalten. Becks Kunst besteht im Weglassen alles Unwesentlichen, dabei abstrahiert er von tonalen Klischees und riskiert selbst atonale Irritation – bis nur noch wenige Töne übrig blieben. Jeder von ihnen steht jetzt absolut da. Eben darin liegt Becks hübsche Anmaßung, die auch heute noch jeder Gitarrist mit Verstand als Referenzgröße nennt.

Um 21.25 Uhr kommt das Klangmonster zur Ruhe. Es folgen noch ein paar Zugaben mit Hut. Echte Rausschmeißer also. Das überwiegend ältere Publikum strömt aus dem Tempodrom in die helle, sommerwarme Berliner Nacht. Vögel singen dem glücklichen Konzertgänger auf seinem Heimweg. Bis er allzu schnell wieder in Menschensiedlungen kommt.

Aus den Fensterhöhlen tönt Fußballlärm. Da ist der absolute Ton als schöne Illusion auch schon wieder verflogen.

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