Sly Stone: Höher, heißer, weiter

Zum achtzigsten Geburtstag von Sly Stone, der mit seiner Band die Sechziger aufmischte.
Herbst 1969, Sly & The Family Stone in der TV-Show „Music Scene“, live im Studio vor einem tanzenden Publikum aus Weißen und Schwarzen, Hippiematten, Afros, Straights. Sie spielen „Hot Fun In the Summertime“, ihren Feelgood-Hit auf den letzten Sommer der Sixties. „Sly Stones Beitrag zur Musikgeschichte ist deshalb so bedeutend, weil es der Band gelang, aus den Musikstilen, die vor ihrer Zeit angesagt waren und zeitgenössischem Sound eine komplett neue Melange zu erschaffen“, sagt Rap-Veteran Chuck D. von Public Enemy: „Dazu kam die Zusammenstellung der Band: unterschiedliche Geschlechter, unterschiedliche Hautfarbe.“ Schwarze Frau mit blondem Afro spielt Trompete, Orange das bodenlange Kleid. Gelb der Fransen-Poncho des weißen Drummers. Sly am Keyboard, goldenes Seidenhemd über nackter Brust verknotet, schwarzer Afro, wuchtige Goldkette, Sonnenbrille mit lila Gläsern. Bling Bling & The Patchwork Family.
Nach zwei Minuten wechseln sie abrupt von ihrem Superhit zu einem obskuren Album-Track: „Don’t Call Me Nigger Whitey!“ Vor einem Millionenpublikum hauen sie das N-Wort raus. Unerhört. In seiner hedonistischen Drastik belegt der Auftritt die ästhetische wie politische Radikalität dieser Ausnahmeband: Lange her. Heute ist das N-Wort unter woken Folks auch dann verpönt, wenn es in explizit antirassistischer Absicht verwendet wird.
Ein paar Wochen vor der Fernsehshow bringen Sly & The Family Stone Woodstock zum Höhepunkt: „I wanna take you higher!“ Höher, heißer, weiter. Das gemischte Line-Up betont ihre Vielstimmigkeit, der Kritiker Miles Marshall Lewis schwärmt vom „euphorischen Optimismus der kurzen Liaison zwischen schwarzer und weißer Jugend, für den Sly mehr noch als Hendrix stand“, weil seine Band es „fertigbrachte, James Browns Funk mit dem melodienseligen Optimismus der Beatles zu verschmelzen. Platten, die so universal eingängig waren wie nur irgendetwas seit dem frühen Motown. Schon die Titel: Everybody is a Star, Stand! Everyday People, You can make it if you try, Fun! Thank You Falettinme Be Mice Elf Again.“ Für sowas zahlen Turnschuhfirmen heute Millionen. Über „sloganeering platitudes“ lästert Lewis mit der milden Ironie des Fans, er hat ein Buch über das Album „There’s a riot goin’ on“ geschrieben, 1971 ein Wendepunkt: „Alles, wofür diese Band gestanden hatte, war nicht mehr hip. Treibende Kräfte des gesellschaftlichen Wandels wurden ermordet, der gerissene Betrüger Richard Nixon zog ins Weiße Haus ein. Das Konzept der Integration, für das Sly & The Family Stone standen, wurde in Frage gestellt. Und es wurde klar, dass von der Bürgerrechtsbewegung nur die schwarze Mittelklasse profitiert hatte.“
Wenn nur die Mittelklasse profitiert, dann bleibt Schwarzen aus prekären Verhältnissen: Sportler werden, Showstar, Gangster. Das Ende von Slys hipper Integration ist auch der Anfang von Gangster-Ökonomie und Gangster-Rap. Passé der egalitäre Optimismus von „Everybody Is a Star“, jetzt gilt das Recht des Stärkeren. „Ready To Die“ rappt Biggie Smalls, er stirbt wie Tupac; „Get Rich Or Die Tryin’“ proklamiert 50 Cent: Werde reich, oder stirb, beim Versuch es zu werden.
Am 17. September 1970 ist Sly Stone mit Jimi Hendrix in London für eine Session verabredet. Hendrix taucht nicht auf, am Tag darauf ist er tot. Sly Stone überlebt so gerade eben. Heute wird der Größte unter den lebenden Toten der Sechziger achtzig.