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Schöner beten mit Pink Floyd

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Von: Sebastian Borger

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Die Pink Floyds 1971.
Die Pink Floyds 1971. © Pink Floyd Music Ltd/Storm Thorgerson/Aubrey ?Po? Powell

Das Londoner Victoria and Albert Museum widmet der englischen Rockband eine feierliche Ausstellung.

Im durch und durch säkularen Großbritannien haben die Kirchen ihre Bedeutung verloren, der Sonntag dient ausgedehntem Shopping oder Sportveranstaltungen. Einen Gottesdienst-Ersatz bieten gelegentlich Kulturschaffende, ein schönes Beispiel stellt die neueste Prachtausstellung im weltberühmten Victoria and Albert Museum (V&A) dar.

Dort hatten Kuratoren vor Jahren eine glänzende Idee. Sie begannen mit der Aufarbeitung der Pop-Kultur am (damals noch) lebenden Objekt. „David Bowie Is“ zelebrierte eine Ikone, einen Sänger und Selbstdarsteller, ein die Stile absorbierendes Chamäleon. Der gewaltige Andrang von gleichaltrigen und nachgeborenen Fans gab den Ausstellungsmachern Recht. Im vergangenen Jahr feierte eine Schau über die zweite Hälfte der 60er Jahre Triumphe, ein „Bombardement der Sinne“ (Guardian) mit psychedelischer Musik und grellen Farben, ein audiovisueller Anbetungswirbel.

„Nostalgie ohne Erinnerung“, hat der Beatles-Biograph Philip Norman das Phänomen der nachgeborenen Anbeter genannt. Von einer distanzierten oder gar kritischen Auseinandersetzung mit einer Zeit und deren Heroen kann keine Rede sein, auch nicht in der neuesten V&A-Galaschau. Sie ist der grandios innovativen, über Jahrzehnte immer wieder tief zerstrittenen Rockband Pink Floyd gewidmet, deren Musik, Plattencover und bombastisches Bühnenbild in den letzten drei Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts immer neue ästhetische Meilensteine markierten.

Dass deren Anführer, Sänger und Haupt-Komponisten Roger Waters (Bass) und David Gilmour (Gitarre) musikalische Genies sind, wer würde das bezweifeln? Sie waren – sind bis heute, Waters, 73, veröffentlicht morgen sein neues Solo-Album (siehe nebenstehende Kritik) – dermaßen innovativ, dass ihnen eine kommerziell glatte Show nicht gerecht werden kann. Der Ausstellungstitel „Ihre sterblichen Überreste“ (Their mortal remains) verweist ironisch ins Transzendente, wie leicht hätte sich daran anknüpfen lassen. Stattdessen wird den (viel Geld) zahlenden Besuchern der V&A-Ausstellung nicht weniger als die Beteiligung an einer kultischen Handlung abverlangt.

Sie beginnt, wie jeder ordentliche Gottesdienst, mit einer Bußübung: Wer nicht in aller Herrgottsfrühe erscheint, beginnt die Annäherung ans Allerheiligste trotz längst gelöster Eintrittskarte mit mehr oder minder langem Anstehen. Erst dann dürfen sich die Gläubigen die unerlässlichen Kopfhörer (natürlich vom Sponsor Sennheiser) überstreifen und die feierlich abgedunkelte Weihestätte betreten. Dort beginnt die Zeitreise in die psychedelische Welt von Drogen und experimenteller Musik Mitte der 1960er Jahre, als vier junge Engländer in London ihre Band Pink Floyd nannten.

Es herrscht feierliche Stille, die Ausstellungsbesucher sind ja von ihren je eigenen Klangwolken („alles automatisch“) umhüllt. Schon das Klicken einer Kamera wirkt wie eine empfindliche Störung. In Hochglanz, mit feinsten Materialien in dezent beleuchteten Vitrinen werden die „Ingenieure des Experimentierens“ gefeiert, chronologisch wird eines nach dem anderen der Alben aus den 70er Jahren behandelt. Die Prisma-Pyramide, Markenzeichen des bahnbrechenden Albums „Dark Side of the Moon“ (1973), hat einen eigenen Raum erhalten, wohl als Anerkennung dafür, dass die Platte bis heute durchschnittlich 7000 Mal pro Woche verkauft wird. Die legendären Illustrationen für „Wish You Were Here“ (1975), darunter der Handschlag zweier Geschäftsleute, müssen sich einen Raum teilen. Ein gewaltiges Neon-Schwein spielt auf „Animals“ (1977) und den Flug eines Artgenossen über das ehemalige Kraftwerk von Battersea an. Schließlich kommt eine 13 Meter lange „Wall“ (1979), komplett mit einem Doppeldecker der Luftwaffe und den Phantasiefiguren des Rockstars und halluzinierenden Möchtegern-Faschisten Pink.

Bänkchen zum Niederknien vor den Ikonen wären der Stimmung angemessen, würden aber das Gedränge noch verschlimmern. Mögen Waters, Gilmour & Co sich auch stets „normalen“ Pop-Musikern wie den Beatles oder Rolling Stones überlegen gefühlt und ein Gefühl der Exklusivität gepflegt haben – in den V&A-Räumen herrschen Zustände wie beim Schlussverkauf im nahen Kaufhaus Harrods.

Die bitteren, Jahrzehnte lang dauernden Zerwürfnisse über Urheberrechte und Bandhierarchie werden als „gut dokumentierte Spannung zwischen Mitgliedern der Gruppe“ abgetan, die zudem deren Kreativität befeuert habe. Zum Schluss erhalten die Gläubigen den Segen: Pink-Floyd-Fans seien „ebenso hartgesotten wie passioniert“, lobt der Ausstellungstext. Und haben über die Jahrzehnte eine „echt progressive Band, die nie aufhörte zu experimentieren“, unterstützt.
Solcherart gestreichelt, heißt es nun Kopfhörer ab zum Gebet: Im letzten Ausstellungsraum werden Bilder vom letzten gemeinsamen Live-Auftritt im Jahr 2005 gezeigt, als Gottesdienst-Nachspiel sozusagen, Glockenläuten inbegriffen. Fehlt nur noch der Besuch im Devotionalienladen. Dort gibt es sechs Tourprogramme der Band im feierlich-schwarzen Kartonschuber (69 Euro). Für den Hausaltar.
 
Victoria and Albert Museum, London: bis 1. Oktober. www.vam.ac.uk

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