Royal Philharmonic mit Jan Lisiecki: Ritt ins Abendrot

Jan Lisiecki und das Royal Philharmonic Orchestra bieten in der Alten Oper Frankfurt ein filmreifes Programm.
Mit einem irrsinnig unterhaltsamen Programm traten das Royal Philharmonic Orchestra aus London, der russische Dirigent Vasily Petrenko und der kanadische Pianist Jan Lisiecki in der Alten Oper an. Ralph Vaughan Williams’ „Wespen“-Ouvertüre ist ein Spaß, bei dem die herumschwirrenden Insekten unangenehm gut zu hören sind, im Verlauf des echten Reinschmeißer-Stücks kann man dann aber auch dem Abendrot entgegenreiten. Filmische Qualitäten bot das Frankfurter Pro-Arte-Konzert allenthalben, aber in einer Güte, die im Kinosaal unerreicht ist.
Auch einmal donnern
Auch und erst recht für Edvard Griegs effektvolles Klavierkonzert in a-Moll galt das, in dem Lisiecki nicht nur seine technischen Fähigkeiten ausspielen konnte – zu denen präzise Hochgeschwindigkeiten gehören, aber beispielsweise auch ein erschütternd beherrschtes Pianissimo –, sondern auch eine Art Luxusbarpianist war, der sich entspannt durch höllisch schwieriges Gelände bewegte. Souveränität und Bewegungssprache machen das, dazu die tanzbaren und die wie gesungenen Passagen des Grieg-Konzerts. Das große Orchester begnügte sich dabei nicht mit einer diskret begleitenden Rolle, im Schlusssatz ließ es sich auch dazu hinreißen, den Klavierpart zu überdonnern. Das wirkte nicht derb, das wirkte durchaus zwingend, auch solche Moment müssen in der Musik möglich sein.
Petrenko, zu Scherzen aufgelegt (er verscheuchte eine Wespe nach Mückenart), zeigte sich als lebhafter und eigenwillig aus dem Handgelenk gestikulierender Dirigent, dabei als unaufdringlicher Lenker der Klangmassen, die hier mit Verve verschoben wurden. Am massivsten dann nach der Pause: Sergei Prokofjews „Romeo und Julia“-Suite Nr. 2 sowie Teile aus der Nr. 1 gab es nun, nie hört man sie an einem Ballettabend im mindesten so gewaltig, wo die Musik entweder vom Band oder aus einem für die Londoner Formation zu kleinen Orchestergraben kommt. Gewaltig ist hier auch ein anderes Wort für laut, ja, es wurde richtig krachend laut.
Dann wurde es wieder brillant, die „junge Julia“ sauste buchstäblich durch die Reihen, und gelegentlich (im IV. „Tanz“ der ersten Suite) wurde es so schnell, dass nur das Schwarmverhalten des Orchesters das Ganze noch einigermaßen zusammenhielt. Beide Abschnitte, die erste und zweite Suite, endeten so tragisch, dass es kaum zu ertragen war. Romeo an Julias Grab, wo der Schmerz erst schneidend ist, dann in die Tiefe geht, aber erst ersterbend enden kann, es gibt keine andere Lösung. Schließlich Tybalts Tod, ein Kämpfen und entsetzliches Rasen.
Seltsam, aber eine Beruhigung, nach einem solchen Schlusspunkt zwei Zugaben geboten zu bekommen, aber Petrenko ließ sich nicht lange bitten. Schostakowitschs „Tahiti Trot“ und ein wilder Ritt von Chatschaturjan. Das Leben geht weiter.