Pussy Riot im Schlachthof: Erzählung der Veteraninnen

„Seid nicht gleichgültig“: Pussy Riot bringen eine Stimmung von Konspiration und Agitprop in den Wiesbadener Schlachthof.
Nun eben doch: Pussy Riot in Wiesbaden. Den angekündigten Auftritt bei den Maifestspielen hatte das Moskauer Aktionskunstkollektiv abgesagt, aus Protest dagegen, dass auch Anna Netrebko auf dem Programm stand (FR vom 8. Mai), der eine zu große Nähe zu Putin nachgesagt wird. Vor gut einem Monat dann die Nachricht, dass Pussy Riot in den Schlachthof ausweichen.
Ein Abend mit der Atmosphäre eines Popkonzerts. Bei der Performance „Riot Days“ handelt es sich um eine Chronik der Ereignisse rund um die Aktion des „Punkgebets“ wider Putin in der Moskauer Erlöser-Kathedrale im Februar 2012. Vierzig Sekunden, wegen denen zwei der fünf Mitglieder der damaligen Besetzung, Maria Alyokhina und Nadeschda Tolokonnikowa, zu zwei Jahren Lagerhaft in Sibirien verurteilt wurden, mit der Begründung „schweres Rowdytum“.
Am Ende wurde die Haft von Putin vor der Olympiade 2014 um ein paar Monate verkürzt, in einem Akt der „VIP-Amnestie“, wie es im Lauf dieses Abends heißt, der auf Alyokhinas Buch „Tage des Aufstands“ (2017) basiert und von ihr gemeinsam mit Olga Borisova, einer zu Pussy Riot konvertierten Polizistin, konzipiert wurde. Alyokhina und die Keyboarderin und Schlagwerkerin Diana Burkot sind die einzigen Mitglieder aus der Zeit der Kathedralen-Aktion.
Es ist eine mitreißende, eine furios wirkmächtig inszenierte und entsprechend bejubelte multimediale Show. Über den bretternden Elektropunk mit seinem teils skandierten und chorischen Sprechgesang hinaus auch visuell harsch rhythmisiert. Mitunter ist es einigermaßen herausfordernd, mit den deutschen und englischen Untertiteln mitzukommen.
Eine Chronik der Ereignisse, wie gesagt, wenn man so will eine Veteraninnenerzählung, mit einer Stimmung von Konspiration und Abenteuer anfänglich. Verwackelte Bilder aus der Erlöser-Kathedrale, Zeichnungen aus dem Gerichtssaal und schließlich Außenaufnahmen der wechselnden Straflager. Dokumente von erbarmungsloser Polizeigewalt bei Demonstrationen.
Und es handelt sich ganz unmittelbar um Agitprop, mit gereckten Fäusten, wider Putin und sein System, das „Riot per Abtreibung beenden“ werde. „Everyone can be Pussy Riot!“ Eine der Performerinnen, die zeitweilig die von der Kathedralen-Aktion bekannten Sturmhauben tragen, uriniert auf ein Foto Putins.
„Seid nicht gleichgültig!“ geht der Appell am Ende. Noch immer fließe viel Geld aus dem Westen direkt in Putins blutige Hände. Alyokhina und Borisova breiten eine ukrainische Fahne aus. „Buchaaaaa!“ erschallt ein langgezogener Schrei. Der Erlös aus den am Merchandisestand verkauften Büchern und T-Shirts, sagt Alyokhina, gehe an ein Kinderkrankenhaus in der Ukraine.
In Deutschland flammen derzeit die ideologischen Debatten hoch über Wokeness und über das allmähliche Ausmustern von nicht mehr zeitgemäßen Gasheizungen. Und letztlich harmlose Proteste gegen die Klimapolitik der Regierung werden ohne Maß in die Nähe von Terrorismus gerückt. Das kommt einem alles nach Verlassen des Schlachthofs noch bizarrer vor als ohnedies.