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„Otello“ in Frankfurt: Desdemona und die drei Tenöre

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Theo Lebow und Nino Machaidze: Jago bedrängt Desdemona. Das Böse braucht keinen speziellen Beweggrund, um böse zu sein.
Theo Lebow und Nino Machaidze: Jago bedrängt Desdemona. Das Böse braucht keinen speziellen Beweggrund, um böse zu sein. © Barbara Aumüller

Rossinis ungewöhnlicher „Otello“ glückt im Frankfurter Opernhaus.

Siebzig Jahre vor Verdi schrieb auch Gioacchino Rossini einen „Otello“, eine von vier Rossini-Opern, die 1816 zur Uraufführung kamen: zwei Monate nach „La gazzetta“, die in diesem privaten Frankfurter Rossini-Jahr ebenfalls zu hören sein wird (im Februar im Bockenheimer Depot), und nicht einmal zwei Monate vor „La Cenerentola“, die schon ins Jahr 1817 fiel. Denn es ging direkt so weiter.

Nun ist Rossini aber der Heilige der maßlos Produzierenden, zeigen seine Werke doch selbst unter schärfstem Abgabedruck ausreichend Genie und gewissermaßen auch Originalität. Sich selbst zu bestehlen, ist kein Verbrechen, sondern eine ökonomische Problemlösestrategie. Dass einem die Ouvertüre zunächst so bekannt vorkommt, liegt an „Der Türke in Italien“ (weniger am weitgehend in Vergessenheit geratenen „Sigismondo“). Der Dirigent Sesto Quatrini geht sein Frankfurt-Debüt jedoch flott, weich und elastisch an, und das mit gutem Grund auf maximale Rücksicht und Leichtigkeit eingestellte Orchester folgt ihm behände. Wenn etwas frisch genug ist, bereitet auch der Wiedererkennungseffekt ausschließlich Vergnügen.

Zumal sich im Anschluss alsbald eine Besonderheit zeigt. Ein Überfluss an Tenören in der Truppe des neapolitanischen Impresario Domenico Barbaja führte zu einer starken Präsenz in der Oper: Zu den drei großen, teils gigantomanischen Partien Otello, Rodrigo (hier der eigentliche Gegenspieler des Titelhelden) und Jago kommt ein vierter Tenor für das überwältigende Lied des Gondoliere (wäre Rossini Richard Wagner und Wildbad Bayreuth, was würde für ein Kult daraus gemacht). Und auch der Doge ist natürlich ein Tenor, und es gibt kurzum nur eine andere Männerstimmlage, den väterlichen Bass.

Viele Theater werden davor zurückschrecken und zu Recht. Lässt sich andererseits ein Trio zusammenstellen, wie es jetzt in Frankfurt gelang, bekommt man eine unerhörte Sängerschlacht geboten, vor allem im zweiten Akt, wo sich die Tenöre in mehreren aufeinanderfolgenden Duetten geradezu ineinander verkeilen, in dem hohe Cs gefragt sind (für die damals allerdings noch keine Bruststimmenpflicht bestand) und überhaupt brutal hochliegende Linien. In schönster Ironie gelingt es Jago in Frankfurt nicht, den Rivalen zu diesem Zeitpunkt die Benutzung einer Pistole nahezulegen. Tenöre haben andere Waffen.

Der größte Trumpf der Unternehmung ist der junge, geradezu schockierend jung aussehende Amerikaner Jack Swanson als Rodrigo, der eine noch anstrengendere, insgesamt noch höher liegende Partie hat als der Titelheld. Die Gefahr, dass aus dem Gesang doch ein Geplärr oder eine Zirkusnummer würde, wäre bei ihm am größten, Swanson aber lässt es so leicht und drucklos wirken, dass er als glückloser Liebhaber in spe sogar noch einen geschmackvollen Kontrast zum etwas dunkler timbrierten, kraftvolleren, sozusagen männlicheren Otello (und Desdemona-Eroberers) des Italieners Enea Scala bieten kann. Beide nachher umjubelte Frankfurt-Debütanten werden flankiert von einem Ensemblemitglied, Theo Lebow als Jago, der nicht nur stimmlich blendend mithält, sondern auch mit einer grandiosen schauspielerischen Leistung aufwartet.

Man merkt schon, dass die Handlung ein wenig – anders verläuft. In der Tat war es darum nicht nur die musikalische Publikumsüberwältigung durch Verdi und Boito, die der Rossini-Oper schadete. Der Komponist und sein Autor übernahmen vom Vorgänger beispielsweise die dramaturgische Idee des inniglichen Desdemona-Gebetes vor der Mordszene, was nun aber Rossinis Version unfairerweise matter wirken ließ. Dass es 1816 eine Seltenheit war, sich einer Shakespeare-Tragödie auf der Opernbühne anzunehmen, geriet ganz aus dem Blick, in den Blick dagegen, dass in Rossinis „Otello“ von Shakespeare wenig übrig ist. Das ist auch nicht zu leugnen. Der Regisseur Damiano Michieletto, der in der vergangenen Saison für Frankfurt sehr glücklich Schrekers „Der ferne Klang“ inszenierte, macht das Beste draus. Die Produktion ist eine Übernahme vom Theater an der Wien.

Die Bühne von Paolo Fantin lässt ins Innere eines repräsentativen und traditionsbewussten Gebäudes von heute blicken. Hinten ein weiter Saal, der durch eine herunterzulassende Zwischenwand nach vorne zu einem Salon werden kann. Dann wird das Gemälde „Der Tod von Paolo und Francesca“ des italienischen Symbolisten Gaetano Previati sichtbar. Das in Italien durch Dantes „Inferno“ berühmte schuldlos schuldige Liebespaar wird dann auch kleine gespenstische Auftritte haben und einen Hauch von Renaissance zwischen die ansonsten zeitgenössischen Kostüme (Business und Cocktail der oberen zehntausend) von Carla Teti bringen. Es macht damit nicht zuletzt deutlich, wie wenig es in der Gegenwart – bei Rossini und bei Michieletto – um Liebe geht (irritierend und folgenreich: kein großes Liebesduett für Otello und Desdemona). Außerdem geht es – bei Michieletto – auf keinen Fall um Militärs. Sein Otello ist kein Feldherr, sondern ein „arabischer Geschäftsmann“. Seine etwas flüchtig dargestellten Erfolge für Venedig sind rein wirtschaftlicher Natur.

Das aber, worauf die Regie abzielt, sind die zwischenmenschlichen Verhältnisse in einer Familie. Zur Ouvertüre wird das Personal allmählich vorgestellt, man versammelt sich im großen Saal, und die auf den durchsichtigen Vorhang projizierten Namen und Verwandtschaftsverhältnisse informieren darüber, dass diesmal (bei Michieletto) praktisch alle miteinander verwandt sind. Außer Otello, der Araber, der zum Anzug Kopfbedeckung trägt und eine etwas dunklere Gesichtsfarbe hat. Man begreift auch bereits, wie weit sich Rossini und sein ambitionierter, aber nicht genialer Librettist Francesco Maria Berio vom Original entfernen. Desdemona ist bizarrerweise heimlich mit Otello verheiratet, soll aber nun aus Gründen der Familienräson Rodrigos Frau werden, Sohn des Dogen, Cousin Jagos.

Der Eifersuchtsplot entwickelt sich holprig und mühselig motiviert. Der Energie, mit der Michieletto seine eigenen Pläne verfolgt, kann man sich dadurch erst recht nicht verschließen. Vor allem wertet er die Figur des Jago auf, der hier von Rodrigos Handlanger zum diabolischen Strippenzieher und Manipulator gemacht wird – viele stumme Auftritte zeigen seine dämonische Natur, der Teufel trägt Anzug, aber von Anbeginn an rast das Böse aus ihm heraus. Nicht minder schändlich das Betragen von Emilia, nun die kleine Schwester von Desdemona und ein Aas. Sie will offenbar auch mal was vom Leben haben und sorgt dafür, dass sie es bekommt (Rodrigo nämlich, auch hier kann von Liebe aber keine Rede sein).

Die Familie und der Fremde. Das ist gut gemacht, gerade weil es nicht verbissen ist. Otello legt Desdemona wie von ungefähr einen Gesichtsschleier nahe, aber besonders ernst scheint es ihm damit nicht zu sein. Wenn er seinen Gebetsteppich ausrollt, schweift er auch selbst ab. Es sind die anderen, die ihn zum anderen machen. Am fulminanten Ende des ersten Aktes bestreicht Jago Otellos Hemd mit dunkler Farbe, die sich nun in den besonders reinlichen Chor hinein verbreitet und der musikalisch schon prächtig ausgeprägten Rossini-Hysterie einen visuellen Zusatzreiz gibt. Als würden weiße Mäuse in der Menge herumflitzen, verlieren die Choristen die Contenance und machen damit nur alles noch schlimmer. Unter der Leitung von Tilman Michael singen sie in jeder Situation mit der gebotenen Zurückhaltung und Finesse, alles muss, nicht zuletzt zugunsten der Tenöre, federleicht bleiben, alles bleibt federleicht.

Mit Geschick hält Michieletto seine Deutungen vage. Auch leuchtet keineswegs jede Idee ein. Der Regisseur macht Angebote, das ist ein Auflockern, Aufwerten, Interessanter-Machen eines sowohl konventionellen als auch etwas irrwitzigen Librettos. Dass er manchmal den Irrwitz eher steigert – wenn Rodrigo nicht Desdemona, sondern den eigenen Vater anjammert, den wunderbar agilen Tenor Hans-Jürgen Lazar als versehrten Dogen im Rollstuhl –, ist kein Problem.

Desdemona aber ist durch Emilias Arglist in Frankfurt natürlich besonders allein. Ihr Vater, der als Abwechslung besonders willkommene Bass Thomas Faulkner, regiert die Töchter mit harter Hand, das Schwesterchen ist das schändlich gut gelaunte und mit bravourös reifer Stimme singende Opernstudiomitglied Kelsey Lauritano. Desdemona selbst, die im dritten Akt zur Hauptfigur wird, erzählt bei Rossini, Michieletto und Nino Machidze mit ihrer großen, manchmal eine Spur scharfen Stimme eine ganz andere Geschichte. Sie ist die engelhaft leidende, der empfindende Mensch unter Egoisten und Schurken. Die schönsten Szenen hat sie entsprechend alleine, darunter mit dem unwiderstehlichen, diesmal sehr getragenen Weidenlied. Während die Tenöre sich auf das Finale vorbereiten beziehungsweise das meiste hinter sich haben herrscht so im dritten Akt bei einer auch ungleich glücklicheren Verknüpfung der Szenen eine andere, elegische Stimmung. In Frankfurt singt nicht ein Gondoliere aus der Ferne, sondern ein Arzt der Familie, Michael Petruccelli (auch er aus dem Opernstudio), sein trauriges Lied auf einen Dante-Text. Mehr Stimmungen passen in drei Stunden nicht hinein.

Oper Frankfurt: 12., 21., 29. September, 3., 12., 20. Oktober. www.oper-frankfurt.de

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