Nils Landgren in der Alten Oper Frankfurt: Edel angekratzte „West Side Story“

Posaunist und Sänger Nils Landgren beschließt seine Jazz-Residenz in der Alten Oper mit einem nachgeholten Termin und viel Stil
Gut sitzender Anzug, rote Sneaker, rotes Einstecktuch – und rote Posaune: Nils Landgren beschließt seine Jazz-Residenz in der Alten Oper mit einem nachgeholten Termin, viel Stil und doch in aller Bescheidenheit. Denn die hervorragend aufgelegte hr-Bigband und ihre Solisten dürfen fast so hell glänzen wie der Star himself, und die Publikumsansprache bleibt weitgehend Bandleader Jörg Achim Keller überlassen.
Keller, bis 2008 Chefdirigent der hr-Bigband, hat auch die detailverliebten Arrangements der Songs aus Leonard Bernsteins „West Side Story“ geschrieben. Das 1957 uraufgeführte und 1961 erstmals verfilmte Musical gilt auch deshalb als Meilenstein der Musikgeschichte, weil ein Sinfonieorchester Elemente aus Oper, Klassik, Jazz und mittelamerikanischer Tanzmusik verbindet. Keller holt die Kompositionen zurück in den Jazz, mitsamt ausführlichen Soli-Gelegenheiten.
Das einzige, was an diesem Abend nicht stimmt, ist das Programmheft. Das Konzert hat weder wie angekündigt eine Pause, noch folgt es sonst dem abgedruckten Ablauf. Kein Beinbruch, aber unverschämt, dass das dünne Heftchen dann für 2,50 Euro zu erstehen ist. Statt „Prologue“ starten „Jet Song“, „Something’s Coming“ und die drei Tänze aus „The Dance At The Gym“ – Blues, Mambo, Jump – das Konzert.
Eine Batterie aus Rohren
Die Percussions nehmen ein Viertel der Bühnenfläche ein: Marimbaphon und Bongos, große Trommel und eine Art Donnerblech gehören zu den Rhythmus- und Effektinstrumenten, die das dichte Gewebe der Arrangements bereichern. Die Holzbläser wechseln alle paar Takte zwischen Saxophonen diverser Größen, Klarinetten und Querflöten, Tieftöner Rainer Heute verschwindet fast hinter einer Batterie aus Rohren vom Bariton abwärts. Die Posaunisten bringen Euphonien zum Einsatz.
Überhaupt beweisen die Musiker – hier wurde nicht das Gendern vergessen; die Bigband ist eine reine Männerkapelle – Vielseitigkeit, meistern Farb- und Stimmungswechsel von zart bis aggressiv, vom tänzelnden Ton eines „I Feel Pretty“ zum schmissigen „Gee, Officer Krupke“. In „Maria“ hat Landgrens Singstimme ihren ersten Auftritt: edel angekratzt, vermeintlich fragil und doch genauso tonsicher wie seine Posaune. Auch „Somewhere“ singt er in diesem schwebenden, relaxten Ton, den auch sein Instrument an diesem Abend viel öfter hören lässt als den von seiner Funk Unit gewohnten härteren Sound.
„America“ heben Band und Solisten sich als Zugabe auf. Dann kommt Landgren noch einmal allein auf die Bühne, bedankt sich höflich für die wohlwollende Aufnahme in Frankfurt – um dann ganz unbescheiden noch einmal sein ganzes virtuoses Können vorzuführen. Mehrstimmige Passagen, einschließlich Power-Riff aus „Smoke On The Water“. Posaunen-Dekonstruktion: Beim Spielen nimmt Landgren das rote Gerät Stück für Stück auseinander, bis er nur noch auf dem Mundstück, dann nur noch mit den Lippen spielt. Pistolenschüsse: Der Zug knallt aus dem Rohr. Standing ovations.