Kimbra „A Reckoning“: ,,Ich hab’ das Geld!“

Sie nennt es „Prog-Pop“: Kimbra und ihr neues Album „A Reckoning“.
Gleich die ersten Zeilen fallen durch das gewisse Pop-Etwas auf. „I’m the accident waiting to happen/it’s just a matter of time“ – Ich bin der Unfall, der darauf wartet, dass er passiert,/Es ist nur eine Frage der Zeit“. „Save Me“ heißt der erste Song auf „A Reckoning“, dem neuen Album von Kimbra. Ist es womöglich ein überholtes Frauenbild, das da vermittelt wird, jenes von der Suche nach der starken Schulter des Mannes. Mitnichten, denn im weiteren Verlauf heißt es: „I’ve got the money“. Auf diesem Album geht es immer wieder um Selbstmanifestation, in einem kämpferischen Ton. Das Aufzeigen von Verletzlichkeit zu Beginn scheint einfach bloß die andere, die verletzliche Seite zu markieren; davon abgesehen, dass Verletzlichkeit ja nicht an ein Geschlecht gebunden ist.
Was ihr gutes Recht ist
Mit „A Reckoning“, ihrem vierten Album, ist Kimbra ihr bisheriges Opus magnum gelungen; Mainstream und Kunstanspruch bringt sie in einer grandiosen Art überein. Wirkt „Save Me“ noch elektro-songwriterartig zurückgenommen, so handelt es sich gleich darauf bei „Replay!“ um eine Nummer mit einem coolen Beat, der – charakteristisch für Kimbra – perkussiv geprägt ist. Sie bewegt sich im experimentellen Zweig des R’n’B, dem Genre, in dem sich gegenwärtig mit die interessantesten Entwicklungen in der Popmusik abspielen. Düster und zähflüssig die Textur zu „Gun“. „I earned the right to talk this way“ heißt es da, und weiter: „Look at the goddam life I made/but you don’t know the price I paid“.
Leichtfüßig hingegen dann wieder „The Way We Were“. Immer wieder wird Kimbras an sich singer/songwriterhaft beseelter Gesang klanglich manipuliert und geschichtet. Sie liebt das große Arrangement, bis hin zu einigen filmmusikalisch dramatischen Momenten.
Die CD
Kimbra: A Reckoning. Inertia Music/ PIAS.
Als „Prog-Pop“ hat Kimbra ihre Musik einmal klassifiziert. Der Ansatz ist ein eklektizistischer, mit einer Affinität zum noch jungen Genre Hyperpop, wo alles erlaubt ist, solange es eben eklektizistisch ist. Wobei es gerade nicht ums Nachahmen geht, sondern um eine Überschreibung im Sinne der Herausbildung eines explizit eigenen Gepräges.
Weniger Plusterei diesmal
Lasziv das Schwarz-Weiß-Bild auf der Plattenhülle: Die Gestalt der Musikerin schält sich aus einer schwarzen Fläche heraus, geöffnet der Bademantel über dem nackten Körper, selbstbewusst blickt das Gesicht die Betrachterin oder den Betrachter an. Wie gesagt, es ist der Mainstream, in dem sich Kimbra auch mit diesem Album bewegt, diesmal jedoch, anders als auf dem recht aufgeplustert produzierten Vorgänger „Primal Heart“ (2018), geht sie weiter, ohne deshalb gleich indie-nerdig zu werden. Sie schreibt ihre Songtexte, für die Musik ist sie wiederum Bündnisse mit einer Reihe von Komponisten eingegangen, in erster Linie ihrem Koproduzenten Ryan Lott.
„A Reckoning“ bedeutet „Abrechnung“ – einzelne kritische Stimmen haben das als Steilvorlage genommen: zu sehr im Trend scheinen ihnen die Themen, die Kimbra auf diesem Album verhandelt. Tatsächlich bewegt sich die Grammygewinnerin – vor zehn Jahren als Duettpartnerin von Gotye in dem (nicht so besonders tollen) Song „Somebody That I Used To Know“ – im Big-Business-Bereich der Popmusik, wo so leicht nichts dem Zufall überlassen wird. Und naturgemäß sind Trendthemen tendenziell umsatzfördernd. Hinweise auf Unglaubwürdigkeit jedoch gibt es bis dato keine.