Neue Alben von den Screaming Females und Jaimee Harris: Auf dem Pfad der Sehnsucht

Rockwucht, Folktradition: Neuheiten von Screaming Females und Jaimee Harris.
Darf gezweifelt werden, wenn die Gottesmutter der Riot-Grrrl-Gemeinde spricht? Kathleen Hanna, unbeugsame Musikerin und Aktivistin, sagt: „Marissa Paternoster ist eine der besten Gitarristinnen aller Zeiten.“ – Und ja, es ist zu vernehmen. Unüberhörbar auf „Desire Pathway“, der mittlerweile achten Veröffentlichung des New-Jersey-Trios Screaming Females: Bassist Michael Abbate, Jarrett Dougherty am Schlagzeug und die wegweisende Gitarren-Königin Paternoster.
Verdichtung, Druck, Raffinesse. Trotz aller Wucht, aller nie versiegenden Spannung eine ausgefeilte, reife Songschreiberkunst, eine in 17 Jahren veredelte, sich aus diversen Kraftquellen speisende Punkrock-Variante. Es sind die allerbesten Urgründe, aus denen sich diese wilden Gewächse ins Licht des Tages ranken. Sleater-Kinney hat die 1986 geborene Paternoster in jene Feldfluren gewiesen, wo auch Breeders, L7, Throwing Muses und Veruca Salt ackern, wo der Zorn und die Lautstärke noch mächtig sein dürfen.
Auf „Desire Pathway“ wird die ganze, im steten Abseits kultivierte Bandgeschichte auf die Schulter gehoben, ist jedes klanggewordene Fitzelchen ein Beweis barer Könnerschaft. Dass kaum eines der zehn Stücke ohne die obligatorisch-metallischen Paternoster-Riffdonnerkeile auskommt – wer will es verübeln?
Wie der stets fiebrig-energische Gesang ist auch die furiose Sechssaiten-Dengelei kein protzendes Getue: All die Verletzlichkeit, all die Ehrlichkeit der Females ist darin aufbewahrt. „So Low“ ist die Akustik-Nummer, eine Ausnahme, um die sich solche popgetriebenen Grunge-Großartigkeiten wie „Ornament“ und „Let Me Into Your Heart“ gruppieren.
Beim „Desert Train“ haben sie von Led Zeppelin geträumt: „I’m a freight train in the desert dragging chains.“ Jedoch ist „Mourning Dove“ in seiner treibenden Sämigkeit heute der Hit – und Drummer Jarrett Dougherty auf dem Zenit seiner Rhythmuskunst. Muss betont werden, dass sich diese Leute gegen jede Art von konservativer Spießigkeit positionieren? Ständig auf Tournee, sind zu Beginn des Monats Juni von ihnen auch drei Auftritte in Deutschland vorgesehen.
Die ALben:
Screaming Females: Desire Pathway. Don Giovanni Records.
Jaimee Harris: Boomerang Town. Folk’n’Ro9ll Records, Thirty Tigers/Membran.
Nie wird es laut, harsch
Einem anderen Sehnsuchtspfad folgt Jaimee Harris, die sich dem traditionellen Country-Folk-Genre verpflichtet hat und seit geraumer Zeit als wohltönende Balladensängerin brilliert. Auf „Boomerang Town“ ist der geschmackvoll in Szene gesetzte Song zuhause, geben sich auch Cello, Violine oder Akkordeon ein Stelldichein. Laut, harsch und rebellisch wird es nie.
Kompromisslos heftet sich die 30-jährige Texanerin an die Fersen von Emmylou Harris, welche ihr einst das Erweckungserlebnis schlechthin beschert hat. Liebe und Lieblosigkeit sind Themen, das Provinzielle in seinen Schattierungen. „As for me, the only dream / I’ve ever had / is gettin‘ out of this / boomerang town“, heißt es im Titelstück, einem jener gern gehörten Americana-Traurigkeiten.
Elegant und ätherisch ist diese Musik, im besten Sinne nostalgisch. Mit Kokain und Gin soll Jaimee Harris lange freundschaftlich verbunden gewesen sein – in „The Fair and Dark Haired Lad“ wird es in Pop gegossen. Mit dem abschließenden „Missing Someone“ darf das Leben wieder heller werden, die Begleittruppe alle Zügel schießen lassen. – Eine dufte Nummer, so hätte man damals anerkennend gegrummelt. Ach: „Hair & Makeup by Delaney Harper“ vermeldet das Kleingedruckte.