Netrebko in der Alten Oper: Ein höherer Grad an Dichte

Die Sopranistin Anna Netrebko wird in der Alten Oper bejubelt.
Die Pariser und die Mailänder Oper haben es getan, Frankfurts Alte Oper soeben auch und das Festspielhaus Baden-Baden, Luzern, das Wiener Konzerthaus werden folgen. Wiesbadens Intendant Uwe Eric Laufenberg plant es bei den diesjährigen Maifestspielen ebenfalls. Nämlich darin, die Frage offen zu lassen, ob die russische Künstlerin Anna Netrebko aufgrund ihrer halbherzigen Distanzierung vom Regime Putin von der Bühne verbannt gehört. Ein Polizeiauto stand einsam auf dem Opernplatz, derweil zwei Frauen ein Transparent zum Ukraine-Krieg hochhielten. Ein Kamerateam suchte Stimmen einzufangen und auch noch zehn Minuten vor Beginn des Konzerts – der Musentempel war jetzt üppig gefüllt – herrschte business as usual.
Beifall wie eine Explosion begrüßte das singende Ehepaar Anna Netrebko und Yusif Eyvazov, das mit der Philharmonie Baden-Baden unter der Leitung Jader Bignaminis ein fast ausschließlich italienisches Programm absolvierte.
Netrebkos Sopran ist schwerer geworden, das Gewicht macht den Sitz der Stimme im hohen Bereich unbeweglicher; die gleitende Mühelosigkeit ihres belcantistischen Organs stellte sich erst nach einiger Zeit ein. Das dunklere Timbre ist dabei zweifellos ein Gewinn, ein höherer Dichtegrad, der sich gleich beim Einstieg mit dem Duett Otello-Desdemona „Gia nella notte densa“ zeigte. Überhaupt war das Stimmvolumen, die Durchschlagskraft ungemein stark und machte das Orchester oft zum bloßen Hintergrund.
Glanz in den Duetten
Francesco Cileas „Io son l’umile ancella“ kam für die offensichtlich noch etwas befangene Artikulation Netrebkos zu früh. Der Schmelz ihrer älteren Aufnahmen von diesem Stück war teils dahin. Partien aus „Madame Butterfly“ lagen der Disposition der mittlerweile 51-jährigen Sopranistin deutlich besser – und überhaupt war der Glanz der Netrebko-Artikulation immer gegeben bei den Duetten mit Yusif Eyvazov. Er ist ein 45-jähriger Tenor aus Aserbaidschan mit großer Stimmfestigkeit bei geringem Schärfegrad und offener Artikulation. Eine Stimmturbine, deren Farbe sich bestens mit der seiner Frau verbindet.
Gleichwohl war vieles zu laut. Offensichtlich hatte man die Tragfähigkeit des Großen Saals der Alten Oper bis zum ebenfalls vollbesetzten Olymp falsch eingeschätzt. Weniger Forciertheit hätte mehr artikulatorische Differenz erbracht. Das Idol des Abends war natürlich der Sopran, der Tenor aber brachte die unmittelbareren Publikumsreaktionen. Glänzend das Orchester. Der Applaus erreichte Grade der Frenesie: ein Publikum im Ausnahmezustand.