1. Startseite
  2. Kultur
  3. Musik

Zum Glück gibt es Gitarren auf der Musikmesse

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Thomas Stillbauer

Kommentare

Gibson-Gitarren, die Ahnengalerie.
Gibson-Gitarren, die Ahnengalerie. © Peter Jülich

Mit einem Fest für alle verabschiedet sich heute die helle und wasserdichte Frankfurter Musikmesse.

Brenne auf mein Licht, brenne auf mein Licht. Es gibt inzwischen mehr zu sehen als zu hören auf der 39 Jahre alten Musikmesse und ihrer jüngeren Schwester, der 2001 geborenen Prolight+Sound für Veranstaltungstechnik, die längst die große Schwester ist. Lampen über Lampen. Man sollte fair sein, eine Messe ist ja dafür da, Sachen zu zeigen, die sich Anna Normalschlagzeugerin und Otto Normalharfenist nicht ins Wohnzimmer stellen können. Aber ein Bildschirm von der Größe eines Volleyballfelds, soll das denn noch zeitgemäß sein? Oder schon? Ist das schon zeitgemäß? Was ist zeitgemäß?

Strawberry Fields Forever

 „Drache Cornelius hat ein Problem“, erzählt Carlos Duarte am Messestand des einhundert Jahre alten Musikverlags Voggenreiter: „Die Fledermäuse wollen alle Erdbeeren aufessen.“ Während die Musik- und Naturfreunde noch rätseln, ob das schon eine Auswirkung des Klimawandels sein könnte, dass Fledermäuse neuerdings Obst verzehren, ist Drache Cornelius bereits an einem Turm in der Einflugschneise angelangt, speit Feuer, und nun müssen die Kinder mit den Fingern an ihrer Blockflöte immer das Loch öffnen, das dem Turmfenster entspricht, aus dem Cornelius sein Feuer strömen lässt, um die vorbeiflatternden Fledermäuse zu töten, jawohl: töten. Das Ganze ist eine Smartphone-App. Ralph Voggenreiter versichert, das Software-Imperium Microsoft zähle dieses Lernprogramm für Kinder, bestehend aus „Flute Master“ und dem etwas fledermausfreundlicheren „Rhythm Village“, zu den besten 20 Apps der Welt. Fliegende Säugetiere und ehemalige Kinder, die schon Schwierigkeiten hatten, sich die Blockflöte von einem echten, meist nicht feuerspeienden Musiklehrer erklären zu lassen, hegen zaghaft Zweifel.

Sag mir, wo Gitarren sind

Zum Glück gibt es Gitarren auf der Musikmesse. Immer noch viele, nur nicht mehr ganze Hallen voll. Es gibt die berühmten Marken Gibson und Fender, auch wenn sie keine eigenen Messestände mehr aufbauen, aber man kann eine Gibson-Gitarre in die Hand nehmen und spielen. Gerade tut das Matthias Jabs, 63, Gitarrist der Scorpions. Vor einer Galerie mit Porträts von Jimi Hendrix, Tom Petty, David Bowie, Prince, Johnny Winter und Lemmy Kilmister sitzt er mit einer Gibson Les Paul und sagt die klügsten Sätze, die es in diesem Jahr auf der Messe zu hören gibt. Darunter diese: „Vor zehn Jahren waren fünf Mal so viele Leute hier. Jetzt ist es angenehmer für die, die hier sind. Für die Betreiber nicht so.“ Die Anbieter von Musikalien, von echten Musikinstrumenten, seien sich wohl selbst noch nicht genau darüber im Klaren, wo die Reise hingehen soll, sagt Jabs. Und er selbst? Seine Band? „Ich bin oldschool“, altmodisch, sagt er. „Von all den Neuheiten, die es hier zu sehen gibt, nehme ich das, was sinnvoll ist für die Musik.“ Und zwar? „Alles, womit die Scorpions ihre Musik leichter veröffentlichen können.“ Jabs denkt dabei an John Lennon, der einst gesagt habe, sinngemäß, sein Traum wäre, heute mit den Kollegen ein Lied im Studio aufzunehmen und es noch am gleichen Abend im Radio zu hören. Das geht jetzt. Persönlich entstamme er allerdings einer Zeit, sagt Matthias Jabs, zu der man sich als Musiker Gedanken hingeben konnte, in Ruhe, während die Bandmaschine im Studio zurückspulte. Man konnte noch mal drüber nachdenken. Die Musik reifen lassen.

Lesen Sie auch:

Der Gitarrenbauer Mathias Schindehütte hat das ganze Jahr Konjunktur

Fields Of Gold

Gleich nebenan schraubt Christopher Mey an einer 1956er Gibson ES-295 mit Goldlack. Mit dem Originalgoldlack. Mit mehr als 60 Jahre altem Originalgoldlack. Und praktisch kein Kratzer, aber die winzig kleinen Sprünge, die man heute bei neuen Gitarren in der Tiefkühltruhe erzeugt, damit sie alt aussehen. Vintage ist das Zauberwort, überall auf der Musikmesse. Alt, aber edel. Mey arbeitet für das Hamburger No. 1 Guitar Center. Das goldige Exemplar, das er gerade poliert, ist als Kommissionsware für einen Kunden zu verkaufen. 9900 Euro, vergleichsweise günstig. „Das Modell war damals eher ein Ladenhüter, es stand nicht so im Vordergrund.“ Obwohl es etwa von Scotty Moore gespielt wurde, dem Gitarristen in Elvis Presleys Band. Wäre es eine Les Paul Sunburst, die jemand noch Berühmteres gespielt hat, dann wäre durchaus das Zwanzigfache zu holen. Oder die Fender Stratocaster von Bob Dylan, ebenfalls in Gold, aus dem Jahr 1962, drüben in der Vitrine. Oder die Akustikgitarre mit einer Widmung von Joe Bonamassa.

Listen To The Music

Seltsam, die vielen auf dem Messehof stehenbleibenden Leute, die Soundbeispielen aus Riesenlautsprechern lauschen, ohne Musiker, mit Dezibelangaben. Aber es lohnt sich ja offenbar.

The Ghost On The Machine

Ach, wenn man doch bloß richtig gut spielen könnte. Zupfen wie der Teufel. Das macht die Konstruktion von Vladimir Demin – ein Gewirr aus Kabeln und Plektren auf eine ganz normale Gitarre montiert, digitale Musik eingespeist, und los geht’s. Sechs Jahre habe sein Vater, Elektroingenieur aus Sibirien, an der Entwicklung gearbeitet, übersetzt Dmitry Demin, drei Monate montiert. Jetzt ist das Gerät für 10 000 Euro zu haben. Wenn es mal in Serie gehen sollte, für 3000 oder 4000. Surreale Vorstellung, ein Orchester aus Gitarren, jede von einer Art Alien umschlungen und befingert, ein Walzer von Strauß, und dann ein Ufo vom fernen Mond. Vintage-Horror gewissermaßen.

Lesen Sie auch:

David Garrett präsentiert ein Notenheft auf der Musikmesse

Live Is Life

Fünf Milliarden Euro setze die Live-Branche jährlich um, sagt deren Kenner Lasse von Thien von der Live Entertainment Award Veranstaltungs-GmbH. Sie sei die Speerspitze hinein in die Erlebnisgesellschaft, sie habe die Tonträgerindustrie locker abgehängt. Vielleicht liegt es auch daran, dass man keine Zeit mehr hat, die Bandmaschine zurückzuspulen. „Man produziert, wo man sitzt und steht“, sagt Michael Biwer, bei der Messe offiziell in der Funktion des Group Show Directors Entertainment Media & Creative Industries Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah. Pardon. Jaja, muss alles englisch sein auf dieser Messe.

Sounds Of Silence

Das „Leiseklavier“ aus Hilpoltstein steht brav in einer Ecke. Es verspricht Zimmerlautstärke. Die Klavierhalle 3.0 erhält hiermit trotzdem den Titel als Europas lautestes, als kakophonischstes Ereignis 2019. Gratulation! Oder stopp, es geht noch weiter. Es folgt die E-Gitarrenhalle, dann die Drums-und-Percussion-Halle, alles nur durch Vorhänge voneinander getrennt. Halle 3.0 ist sehr, sehr nah am absoluten Wahnsinn. Ein Stockwerk höher gibt es Gitarren aus Holz mit Loch, es ist wunderbar, es kommt dort sogar zu Gesprächen unter Musikfreunden. „Und, wie spielt sie sich?“, fragt ein Musikfreund den anderen, bis dahin fremden. Vereint bekichert man die kuriose Form dieses Produkts aus dem sehr verehrten Hause C.F. Martin & Co. Inc., eine Gitarre, die ein wenig aussieht wie eine Armbrust. Kein Korpus und doch ordentlich Klang an Bord.

Lesen Sie auch:

Frankfurt wartet auf das Museum für moderne elektronische Musik

It’s Raining Again

Das Hyasung Moving Panel ist ein Scheinwerfer, der sich die ganze Zeit bewegt und dabei mit Wasser besprüht wird. Warum? Wird er im Betrieb dermaßen heiß? Wenn man genau hinschaut: An jeder Ecke werden Lampen mit Wasser beregnet. „Damit man sieht, dass sie wasserdicht sind“, sagt ein Mann in der gigantischen Messehalle 12.

One Night in Bangkok

Halle 12 ist, wie man sich eine thailändische Megacity nachts um zwei vorstellt. Neblig, schwül, überall schummrige Beleuchtung, Musikfetzen im Vorübergehen, Menschen im Dunst, asiatische Firmennamen, wasserdichte Lampen. Aber vermutlich viel mehr Visitenkarten. Ungewohnt, von einem Chinesen in Frankfurt mit den Worten begrüßt zu werden: „Where are you from?“

Music Was My First Love

Dann eroberten „Turntablism“, „Controllerism“, „Live-Looping“ die Welt, drei Schlagworte der heiligen Musik- und Lichtmeß 2019, die am heutigen Samstag mit einem Fest für alle zu Ende geht. „Musikmesse Plaza rockt den Samstag“ heißt das Motto. Es gibt einen Pop-up-Market, früher hätte man wohl gesagt: Flohmarkt. Mit Musikinstrumenten, CDs, Vinylplatten, Büchern, Postern, Bandzubehör, es gibt Livemusik, Streetfood. Ach so, und: Events.

Musikmesse Plaza: am Samstag von 10 bis 18 Uhr, Eintritt fünf Euro, mit Festival-Ticket kostenlos. Die Messe selbst ist vorbei.

Auch interessant

Kommentare