Van Morrison: Drei Seelen, ach, in seiner Brust

Die Wiederkehr des Van Morrison: Freitag erscheint sein Album „Three Chords & The Truth“, das erste fabelhafte Werk seit Jahren.
Mit einem Schlagzeugwirbel geht’s ab, mit einem Schnarren auf der Snare Drum, mit einem Zittern auf der Schlachtfeldtrommel. You don’t understand – nein, das Gegenüber versteht gar nichts, ja, you, du. Da mag die Stimme noch so fordernd sein. Die Schlechtigkeit der Welt ist ein weites Feld, der Blues aber ein Schlachtfeld.
Schon länger ein solches Stück nicht mehr gehört, gerade von ihm nicht. Träge schleppt sich das Geschehen hin. Der Orgelton wie Lehm an aufgeweichten Stiefeln. Der Blues als Gewicht der Welt. Van Morrison sagt es so: How bad can people be, will happen to me. Zur Schlechtigkeit der ganzen Welt ein Reißen an Gitarrensaiten. Anschwellender Orgelklang, noch schwerfälliger der Gang. Da, Synkopen auf einem Klavier, ein Hoffnungsschimmer mit der einen Hand? Mit ihr ein heller Takt, ein dunkler mit der anderen. Freiheit, was ist das? Die Frage wird mit Vehemenz gestellt, fast ausgespuckt.
Van Morrison und seine Gemeinde
Der Blues lässt dein Leben sowieso selten schweben. Er beansprucht eine Einstellung zur Existenz, die nicht unbedingt gesund ist, die er aber mit jedwedem geistlichen Lied teilt. Handelt es sich um den Psalm eines Propheten womöglich? Auch in der Rolle eines Künders hat sich der Seelenkundler Van Morrison gezeigt, seit er Ende der 60er Jahre, nach seiner Zeit mit Them, mit eigenen Platten auftrat, darunter dem Wunderwerk bis heute, „Astral Weeks“. In den 70ern weitere grandiose Platten, „Saint Dominic’s Preview“, „Into the Music“, Anfang der 80er „Common One“. Ein äußerst komplexes Zusammenspiel (Hybrid!) aus Folk, Jazz, Soul. Eine Stimme wie ein Sog, stream of consciousness, Bewusstseinsstromblues.
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Nun ist es aber auch so, dass Verehrer den Gehuldigten in den letzten Jahren immer mehr aus dem Blick verlieren konnten. Nur noch eine hartgesottene Gemeinde drängte dem Mann weiterhin entgegen – einem Gepriesenen aus abgelaufenen Plattenspielertagen? Sicher, manche riefen weiterhin Van the Man (an), und der Meister, vom Echo der Gläubigen überzeugt, gab der anhimmelnden Gemeinde Zuspruch, jedoch von immer dünnerer Konsistenz, auch wenn Van ihr Manna gab, allein zwischen 2014 und 2018 waren es sechs Neuerscheinungen. Dass da aber in den Augen des Propheten kein anderer als ein Erleuchteter selbst sprach, ging aus einem Albumtitel wörtlich hervor, so unverhohlen wie, pssst, ironisch. Zweimal drei Alben in nur vier Jahren, eine wundersame Van-the-Manna-Vermehrung.
Van Morrison, der Melancholiker, der die Welt beschwingt
Das ist eine erstaunliche Entwicklung, dies umso mehr, da der Melancholiker die Welt auch sehr beschwingt besingt (den Reimen zuliebe?). Jetzt, zum Auftakt, auf den Märzwind im Februar zu sprechen kommt, mit dem sich der Frühling ankündigt, so dass sogar die Gitarre ein Feedback auf ein erstes laues Lüftchen gibt, indem sie zirpt. So viel Zuversicht, da machen sogar Zimbeln mit. Blauer Himmel, die See dito. Umstände, die das Herz hüpfen lassen.

Wenn der Musikfreund in den letzten Jahrzehnten andächtig Van the Man raunte, sprach der nicht immer nur artig zurück, seit einem halben Jahrhundert nicht. Jetzt dagegen ist so etwas wie die Altersgelassenheit eines 75-Jährigen zu vernehmen, der berühmt ist für sagenhafte Konzerte, sowie, schon am nächsten Abend, auf einer anderen Bühne, als Grantler so berüchtigt wie als Giftzwerg. Mächtig viele Musiker, die er von einer Stunde auf die andere aus der Band warf – fort, du Stümper! –, manchen Kumpel direkt nach der letzten Zugabe, oder auch in der Pause. Peinliche Geschichten, sagenhafte Legenden. Andererseits war der Menschenfeind oft auch ein Menschenfänger, hätte er sonst so große Duette gesungen, mit Georgie Fame, Chris Farlowe, John Lee Hooker.
Van Morrison, der alte weiße Mann
Jetzt hat er sich für einen Song zusammengetan mit Bill Medley. „Fame Will Eat The Soul“, ja, so ist es wohl, der Ruhm ist ein Menschenfresser, was allerdings erst dann eine wirklich dringliche Erkenntnis wird, wenn sich die Hammondorgel dräuend einschaltet. Sie war Morrison immer schon besonders ans Herz gewachsen – Gesprächspartner (einer, der nicht widerspricht). So auch jetzt wieder, wenn er, der alte Mondanbeter, wie schlafwandlerisch Seelenkunde betreibt zur Nacht. Wenn er sich, wie früher, lange her, wie ganz früher, in Trance singt: „in the dark night“. Wenn er allein diese vier Worte immer wieder wiederholt, rosenkranzartig schließlich den Vers „the soul the soul the soul“. Three chords, drei Akkorde, drei Seelen, in nur einem Vers. Van, der alte weiße Mann, der größte weiße Bluesmusiker, weiß, was er der Trinität schuldig ist.
Soul entspringt einem unruhigen Herzen, erst recht aber gibt die arme Seele des Bluessängers keine Ruh’. Wo soeben noch ein Funken Seinsfreude, da verschattet sich der Aufenthalt auf Erden. Drei Seelen auch auf diesem Album in seiner Brust, eine auf der Suche nach Gnade, „In Search Of Grace“, bei der sich „grace“, warum auch nicht, auf „face“ reimt, handelt es sich bei ihr ja auch um so etwas wie Anmut. Manchmal allerdings ist ihm alles recht, auch der seifige Sound, etwa wenn’s abgeht auf dem Broadway („so far away“).
Van Morrison mit fordernder Stimme
Von der heiteren Seite der Seele war bereits die Rede. Hier und da eine aufgekratzte Gitarre, auf ihr ein Solo, das sich hochschraubt wie eine Lerche. Und „Three Chords & Truth“, das Titelstück, stolpert vor sich hin, um den Rhythm and Blues zu verherrlichen, wahrlich. Doch um noch einmal auf eine weitere Verfassung der Seele zurückzukommen, deren Rückseite, deren traurige, ever, die des Blues. Ein Gedanke verliert sich in dahingegangenen Tagen. „Days gone by“: eine Erinnerung an Kindertage, und das klimpernde Klavier täuscht. Vieles überhaupt täuscht. Naive Kinderzeit, wie dumm auch, aber lass uns drüber sprechen. Auf die alten Tage mit einer Tasse mit Süßstoff, auf vergangene Tage. Aber sind sie auch vorbei?
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Dann gäbe es nicht auch diesen Song, in dem die akustische Gitarre wie schlecht erzogen laut wird, das Schlagzeug wie unwirsch aufstampft, während Morrison, wie so oft, immer beschwörender psalmodiert. Seine Stimme ist stets eine fordernde Stimme gewesen, nicht die eines besonnenen Priesters, sondern eines bedrängenden Seelenfängers. Hier auch, Inbrunst, darauf läuft es immer wieder hinaus in Stücken, in denen die Orgel ein spirituelles Fundament legt. In denen eine Gitarre an den Saiten zerrt wie an Nerven, und damit nicht genug. Morrison, der Perfektionist, bietet neben sich selbst an der Gitarre fünf weitere Könner auf, David Hayes, Jeremy Brown, Pete Hurley und Dave Keary, nicht zu vergessen den schon vor 50 Jahren von ihm beschäftigten Jay Berliner. Um was zu tun? Um der Zuhörer Seelen anzufassen, ganz langsam. Habt Gnade – nein, macht weiter so.
Unter den Schwierigen, heißt es über Van Morrison schon seit über fünf Jahrzehnten, sei Morrison einer der Allerschwierigsten. Ein Egozentriker für Bandmitglieder, Konzertveranstalter, Promoter, die Presse. Vor wem auch immer, auch mit diesem neuen Album hält er die Dinge im Fluss. Denn darum geht es. Um Sog, Strudel, in einem nicht abreißenden Bewusstseinsstrom. Um mitreißende Bewusstseinsstromschnellen.