Mikhail Pletnev und das WDR-Sinfonieorchester in der Alten Oper Frankfurt: Ganz andere Capricen
Ein starker Konzertabend mit Mikhail Pletnev und dem WDR-Sinfonieorchester – auch wenn die Pandemie vom geplanten Programm nur den Solisten übriggelassen hat.
Ausreiseverbot für russische Künstler Anno Domini 2021: das Corona-Virus macht möglich, was seit Perestroikas Zeiten undenkbar schien. Jedenfalls konnte das Russian National Orchestra bei Pro Arte in der Alten Oper nicht auftreten, wohl aber der vorgesehene Pianist, der 1990 dieses erste nichtstaatliche Orchester Russlands gründete und es auch selber lange geleitet hat: Mikhail Pletnev. Einer der großen Namen des russischen Klavierspiels. Nicht nur Pianist und Dirigent, sondern auch Komponist sowie Bearbeiter von Kompositionen der Tradition.
In Frankfurt sollte er Camille Saint Saëns’ 2. Konzert (in g-Moll) aus dem Jahr 1868 präsentieren. Das konnte dank des orchestralen Einspringers – des WDR Sinfonieorchesters unter Leitung seines Chefdirigenten Cristian Macelaru – auch geschehen, denn mit dem Ausfall der russischen Musiker war auch die Leitung durch Kristjan Järvi hinfällig geworden. Ursprünglich wäre das virtuose Klavierkonzert rein russisch gerahmt gewesen (Borodin, Tschaikowsky). Jetzt gab es Rachmaninow und Dvrorák.
Gestartet wurde mit Sergei Rachmaninows „Caprice bohémien“ op. 12, einem im Konzertsaal so gut wie nie zu hörenden Werk, das in der Tradition der zingaresischen Rhapsodien eines Franz Liszt steht, aber einen ganz anderen Tonfall hat. Der frühe Rachmaninow klingt hier noch melancholischer, spröder und herber als später, wenngleich sich der ziehende und aufschaukelnde Gestus schon ankündigt.
Mit schwebendem Klang
Ein farbiger, dezenter Verlauf des gut 15-minütigen Stücks von 1894, das von einer rasanten Steigerung beschlossen wird. Das WDR-Orchester mit schwebender Klanggebung bot das Charakteristische dieses Frühwerks auf bemerkenswerte Weise.
Saint Saëns’ virtuoser und spielerischer Ausdrucks-Klassizismus wurde vom 64-jährigen Pletnev auf einem Shigeru-Kawai-Flügel gespielt in kristalliner, leichter und doch fester Faktur, was gänzlich anstrengungslos und auch ohne jede Tastenlöwen-Manier gelang. Das nicht zu schnelle Tempo kam dazu und hielt die mit allerlei Stilmitteln gewürzte Komposition entspannt. Dem fettfreien und sehr beweglichen Solo-Klang entsprach das Orchester mit schlanker Tutti-Einkleidung.
In Antonín Dvoráks 9. Sinfonie („Aus der Neuen Welt“) ließ man die Pauke mächtig schallen und entfaltete starken Drive bei allem, was Lautstärke und Tempo betraf. Gewichtiger wirkten die lyrischen Themen und Motive, welche die Differenz im lärmigen Durchzug der Immergleichheit deutlich markierten.