Als Mickymaus durch die Popgeschichte

Massentaugliche Musik in Deutschland: Das Frankfurter Museum für Kommunikation spielt Besuchern viel vor - und jeder kriegt einen Kopfhörer.
Sie ist nicht totzukriegen, diese populäre Musik. Die Nazis haben es versucht, die Kommunisten haben es versucht – man kann sagen: Pop hatte es nicht leicht. Aber welche Kraft diese Musik entfesselt, welche Widerstände sie überwindet, und wie ergreifend schön oder verrückt oder traurig sie auch immer wieder ist, das lässt die Ausstellung „Oh yeah! Popmusik in Deutschland“ erahnen, die am Donnerstag im Frankfurter Museum für Kommunikation beginnt.
„Oh yeah“ ist ein Song der Schweizer Dancefloor-Pioniere Yello aus dem Jahr 1985. Text: „Oh Yeah ... bow bow, chick chicka chicka“. Dort, im Alpenland, wurden die Frankfurter Ausstellungsmacher auch fündig, als sie nach einer Formatvorlage suchten. „Wir haben uns die Schau ,Oh yeah‘ in der Schweiz angesehen“, sagt Museumschef Helmut Gold, drüben ging es um Schweizer Popmusik, „und dann für Deutschland komplett neu gemacht.“ Bis auf den Schweizer Titel wohlgemerkt. Aber das Duo Yello hat ja Frankfurter Wurzeln. Und die Ausstellung heißt ja auch nicht „Popmusik aus Deutschland“, sondern: in .
Dort, in Deutschland, sammelte der Projektleiter Jan Christoph Greim Stilrichtungen, Historie und vor allem: Klangbeispiele. Die kann sich der Ausstellungsbesucher ganz privat anhören – oder besser: Die muss er sich ganz privat anhören, nur so funktioniert es. Am Start der Strecke erhält er einen Kopfhörer, den er sich aufsetzt, mit dem er dann praktisch als Mickymaus durch die Popgeschichte wandelt, und wo er geht und schaut, bieten sich ihm Buchsen, in die er sinnvollerweise den Stecker seines Kopfhörers einklinkt.
Was folgt, ist Massenkultur, „der Sound des Jahrhunderts“, sind Songs in guter Tonqualität, epochemachende Songs, beispielhafte Songs, zunächst mittelbar aktuelle, etwa von Jan Delay, Juli, Pur oder den No Angels. Mittelbar aktuell, denn schon an der nächsten Ecke führt die Zeitreise mindestens eine Generation zurück: Da sind Original-Bühnen-Outfits der Prinzen zu sehen, die in der DDR noch Herzbuben hießen, sich nach der Wende umbenennen mussten (gab’s schon) und dann die ersten gesamtdeutschen Superstars wurden. Oder der durchgeknallte Fellmantel von Jürgen Drews, mit dem er als „König von Mallorca“ auftrat. „Da ist noch der Spack dran, die Patina“, freut sich Greim. Oder die skandalös offenherzige Garderobe der Sängerinnen des Bremer Dance-Trios Mr. President in den 90ern.
Schritt für Schritt geht es zurück bis in die 20er Jahre, vorbei an den ersten Rappern, an Schlagern, Punk mit einfachsten Mitteln, an der James-Last-Büste und der Elvis-Mania. Der Todestag des Kings jährt sich am heutigen Mittwoch, einen Original-Elvis-Seesack haben sie für die Schau besorgt, mit Hilfe der Elvis-Initiative Gelsenkirchen. Die Love Parade hat eine Ausstellungswand. „Nach Duisburg war der Traum von Love und Sex dahin“, sagt Projektleiter Greim, 34, „im Grunde war’s vorbei“. In die Gothic-Ecke, wo ältere Besucher angeblich erschrocken wieder ausstöpseln, wenn sie das Klangbeispiel der Gruppe Das Ich („Gottes Tod! Gottes Tod!“) hören, hat der Kurator ein Foto von Spock-Darsteller Leonard Nimoy („Raumschiff Enterprise“) geschmuggelt: „Weil er während der Vorbereitungen zur Ausstellung starb.“ Das war im Februar 2015. Der Zusammenhang wird sich vermutlich nicht jedem erschließen.
An jeder Station führt eine Art Radiosendung ins Thema ein (auch auf Englisch stöpselbar), überall laufen Videos mit erläuternden Aufnahmen. Haben die Macher eine Epoche als besonders wichtig identifiziert? Ja, sagt Greim, die Entwicklung der elektronischen Musik, der ersten Stilrichtung, die aus Deutschland in alle Welt exportiert wurde. „Sonst hat man ja immer genommen, den Rock’n’Roll, den Beat.“
Die Abteilung mit der elektronischen Musik führt die Vorreiterband Can, sie zeigt das 1989er Roland Octapad im Original, einen Schlagzeugcomputer, der Veteranen die Tränen in die Augen treibt. Sie zeigt im Film Volker Müller, den Toningenieur der Klangexperimente von Karlheinz Stockhausen. Sie zeigt wenig von Kraftwerk. „Wir haben ewig probiert, Materialien von ihnen zu erhalten“, sagt Greim. „Kann man vergessen.“ So bleibt die aus seiner Sicht wichtigste Abteilung doch klein, wenn auch schön, wie alle Ausstellungsteile (Gestaltung: Gewerkdesign, Berlin). Gelungen auch die großen weißen Pilze für Rudel-Kopfhörerstöpselungen. 90 Musiktitel sind zu hören, weitere 90 Radio- und Filmbeiträge, insgesamt gut acht Stunden Material.
Noch einmal zurück zu den Widerständen: Walter Ulbricht kommt im Originalton zu Wort (1965): „Ist es denn wirklich so, dass wir jeden Dreck, der vom Westen kommt, nu kopieren müssen? Ich denke, Genossen, mit der Monotonie des Je-Je-Je, und wie das alles heißt, ja, sollte man doch Schluss machen.“ Die DDR-Musikanten fanden das Yeah-Yeah-Yeah bekanntlich dann doch nicht so monoton. In der Nazi-Diktion hatte das so geklungen: „Hinaus mit all den Störenfrieden!“, dazu auf dem riesigen Plakat zwei junge Braunhemden, die nach kleinen, lästigen Kerlchen in Swingklamotten treten. Allein: Die Swing-Jugend blieb geschmeidig, ob im Frankfurter Harlem-Club oder als Kölner Edelweiß-Piraten. Schön und hochverdient, dass die Schau dies würdigt.
Museum für Kommunikation, Frankfurt: 17. August bis 25. Februar. www.mfk-frankfurt.de