Mark Turner bei der hr-Bigband – Aber immer von heute aus gesehen

Der famose Saxofonist Mark Turner und die kanadische Dirigentin Christine Jensen zu Gast bei der hr-Bigband im Sendesaal.
Die zeitgenössischen Ansätze im Jazz teilen sich seit gut zehn Jahren vor allem in zwei Zweige auf. Da sind zum einen die inzwischen auch nicht mehr so jungen Musiker und Musikerinnen aus London und New York, Chicago und Los Angeles, die sich auf den spirituell-freien Jazz und afrozentrische Ansätze und Black Power der sechziger Jahre beziehen – darunter Kamasi Washington, Angel Bat Dawid oder Makaya McCraven. Das ist im Grunde eine Retrobewegung. Der New Yorker Mark Turner, einer der markantesten Stilisten auf dem Tenorsaxofon derzeit, ist mit Jahrgang 1965 eine Generation älter. Er steht aber quasi prototypisch antipodisch für einen zeitgenössischen Modernismus im Jazz, der auch von Jüngeren weiter fortgeschrieben wird.
Beim jüngsten Konzert der hr-Bigband im Sendesaal am Dornbusch – besucht wurde der zweite der beiden Abende – war Mark Turner der Gastsolist, die Kanadierin Christine Jensen stand am Dirigentenpult. Freiheit und Struktur, Improvisation und kompositorische Festlegung: Das Auspendeln dieser Pole ist es, um die es im Jazz geht, erst recht auch im orchestralen Format. Einige der Stücke stammen aus dem jüngsten, 2022 veröffentlichten Quartettalbum „Return from the Stars“. Zieht man zwei der großen Miles-Davis-Alben zum – unreinen – Vergleich heran, so kommt Turners vorangegangenes Album „Lathe of Heaven“ (2014) mit seiner improvisatorische Freiheit für die Instrumentalisten „Kind of Blue“ nahe. Der Geist auf „Return from the Stars“ ist eher vergleichbar mit „Birth of the Cool“ – diese Musik scheint sich anzubieten für die Orchester-Arrangements von Jensen wie auch von Jim McNeely, dem Chefdirigenten der hr-Bigband.
Weich und beseelt ist das Spiel von Mark Turner. Da ist eine grandiose harmonische Melodiosität. Harmonie auch in den Begegnungen mit den großartigen Solisten der Bigband wie Axel Schlosser (Trompete) und Heinz-Dieter Sauerborn (Sopransaxofon) oder im polyphonen Gewirk der „drei Tenöre“ mit Denis Gäbel und Steffen Weber.
Spiritualität spielt auch bei Mark Turner eine ganz große Rolle, wenngleich in einem anderen Rahmen als bei den oben genannten jüngeren Musikerinnen und Musikern. Umfassend historisch informiert ist Turner mit Blick auf die klassischen Modernisten seines Instruments von dem von ihm besonders verehrten Warne Marsh über John Coltrane bis Joe Henderson. Doch seine Position ist explizit zeitgenössisch. Die Arrangements etlicher Stücke, etwa „Sonnet for Stevie“, sind von Klangfarbenspielen der Bläser geprägt, das pulsierende „Nigeria II“ hingegen kommt dem Bop nahe; in „1946“ swingte die Bigband elegant.
Auffällig die zuweilen perkussive Klangwerkerei des amerikanischen Bassisten Doug Weiss.
Als Video-on-Demand unter www.hr-bigband.de