Lucia Ronchetti: Die Komponistin als Klangschützerin
Happy New Ears würdigt Lucia Ronchetti, die Premiere ihrer Oper wurde verschoben.
Das Beethoven-Jahr, das bis dato der öffentlichen Musizier-Quarantäne zum Opfer gefallen ist, wurde nicht ganz ungewitzt angespielt im ersten Happy- New-Ears-Auftritt nach den Lockerungen des Lockdown in der Oper Frankfurt. Dort hatten 100 Interessierte Platz gefunden, um den Worten und Werken Lucia Ronchettis zu lauschen. Jener römischen Komponistin, deren Oper „Inferno“ eigentlich eine der Premieren des Hauses in dieser Spielzeit hätte sein sollen. Sie wurde verschoben auf Juni 2021; so war das hier ein Appetizer für das Auftragswerk von Oper und Schauspiel Frankfurt über Dantes Divina Commedia.
Sie stellt sich den Fragen
Die 57-jährige Künstlerin, die Anregungen der französischen spektralistischen Schule auf originelle Weise aufgegriffen hat, war aus der italienischen Hauptstadt via Livestream dem ihr gewidmeten Werkstattkonzert des Ensemble Modern zugeschaltet und stellte sich den Fragen und Anmerkungen des Dramaturgen der Oper, Konrad Kuhn.
Mit einer Art performativen Beethoven-Recherche begann der Abend, wo Ueli Wiget am Flügel gewissermaßen den Komponisten gab, derweil die beiden Schlagzeuger David Haller und Rainer Römer den Klangkörper perkussiv traktierten. In weiße Arzt-Kittel gekleidet und mit klassischen OP-Masken die zwei Pathologen mimend, die tatsächlich am Tage nach Beethovens Ableben am 26. März 1827 sich daran machten, das Gehör des ertaubten Genies zu untersuchen. Jetzt geschah das als ein Beklopfen, Betasten und Behorchen des viel Repetition und „prepared piano“-Klanglichkeit absondernden Beethovenschen Arbeitsmittels. Ein schiefes Konzept zweifellos mit etwas fad wirkendem klanglichen Geröll, das aber visuell und im pseudo-forschenden Habitus der bella figura machenden Schlagzeug-Pathologen hübsch war.
Mehr retrospektive Tiefenschärfe als „Cartilago auris, magna et irregulariter formata“ von 2019 hatte „Le palais du silence“, wo Ronchetti Debussysche Klangmuster auf ihre natur- und kulturgeräuschhafte Dimension hin abgeklopft hat und typischer impressionistischer Idiomatik die Dimension eines fast konkret-akustischen Horizonts bescherte. Hier dirigierte Peter Tilling, eine der erfreulichen Erscheinungen unter den Dirigenten neuer Musik, die nicht nur Takte schlagen, sondern auch gestalterische Intentionen umzusetzen wissen. Im Ergebnis ein subtil realisiertes, schönes Déjà-Vu wie von verblichenen, etwas zerknitterten Ansichtskarten jener Klangräume, die ansonsten meist sehr glatt und parfümiert vermittelt sind.
Obwohl bereits 2013 entstanden, erklang das Werk als Uraufführung. Es war kurzfristig coronatauglich gemacht worden, indem die Menge der Instrumentalisten auf die für das Frankfurter Podium ungefährliche Anzahl von zwölf reduziert wurde.
Beim finalen kurzen Quintett über neapolitanische Straßen- und Tanzmusik („Rosso pompeiano“ von 2010) erwies sich die Komponistin als Klangschützerin, die gefährdete Authentizität in ihren Werken zu bergen sucht.