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Litauisches Vokalensemble: Das Erbe bewahren und damit spielen

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Von: Stefan Michalzik

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Cätlin Mägi mit Maultrommel. Foto: Alte Oper/Wonge Bergmann
Cätlin Mägi mit Maultrommel. Foto: Alte Oper/Wonge Bergmann © Wonge Bergmann

„Magische Klänge baltischer Frauen“ in Frankfurts Alter Oper.

Es war ein Tag von symbolischer Bedeutung, auf den die Frankfurter Alte Oper das Konzert unter dem blumigen Titel „Magische Klänge baltischer Frauen“ zum – frühen – Saisonabschluss der Reihe „Musiken der Welt“ im Mozartsaal gelegt hatte. Am 11. März 1990 hatte Litauen als erste der drei baltischen Republiken seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion erklärt; Lettland und Estland folgten wenig später. Angesichts der kriegerisch-neoimperialistischen Politik Russlands heute kommt einem solchen Datum ein zusätzliches Gewicht zu. Die Wiederentdeckung verschütteter Musikkulturen hatte einen erheblichen Anteil an der Stiftung von Identität in den baltischen Republiken nach fünf Jahrzehnten des sowjetischen Regiments.

Wie sie da singend in den Mozartsaal einziehen mit ihren Umhängen und Kopftüchern, erinnern die fünf Frauen des litauischen Vokalensembles Trys Keturiose unter ihrer Leiterin Daiva Raciunaite-Vyciniene ein wenig an Nonnen. Tatsächlich jedoch geht es hier um eine vorchristliche Ritualkultur. Die Tradition der Sutartines, vor allem in der Region Aukštaitija im Nordosten Litauens von Frauen praktiziert und 2010 von der Unesco in die Liste des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen, reicht viele Jahrhunderte zurück.

Fließende Schreit-Tänze

Immer wieder formieren sich drei- bis vierköpfige Teilgruppen oder auch das ganze Ensemble zu harmonisch fließenden Schreit-Tänzen. Die dissonante Reibung von großer und kleiner Sekunde spielt eine wichtige Rolle für die reizvolle Wirkung des vibratolosen polyphonen Gesangs. Angesichts der schier endlosen Wiederholung von Sequenzen fühlt man sich an den Minimalismus erinnert, der ja seinerseits von traditionellen Musikkulturen inspiriert ist.

Die Praxis von Trys Keturiose mag man vital-bewahrend nennen – spielerisch-freigeistig erscheint daneben der Ansatz von Cätlin Mägi. Die estnische Spielerin der Maultrommel wie auch des Dudelsacks beschäftigt sich eingehend mit der Tradition: sie hat in Archiven nach frühen Tonaufnahmen gesucht und Notenabschriften der Melodien in einer umfassenden Sammlung herausgegeben.

In dem der Maultrommel gewidmeten Teil des Konzerts zeigt Cätlin Mägi Möglichkeiten des klanglichen Experimentierens kommentierend auf. Da sind die klassischen Mittel der Tonbildung auf dem in Estland seit dem 13. Jahrhundert nachgewiesenen Zupfidiophon durch Veränderungen des Resonanzraums der Mundhöhle. Zugleich setzt die 43-jährige Musikerin Elektronik ein. Sie sampelt und loopt und verfremdet den Klang des Instruments, er kehrt ostinat wieder, darüber singt sie folkloristische Melodien.

Das Ergebnis klingt zeitgenössisch in einer hochgradig artifiziellen Art, freilich auch unkompliziert und leichthändig. Cätlin Mägi ist eine Klangforscherin, gar erinnert ein instrumentales Stück (ohne Elektronik) an den improvisatorischen Geist des Krautrocks. Enger an der Tradition dann ihr Umgang mit dem Dudelsack: hier singt sie nach kurzen Intros Volksweisen über dem Ton der Bordunpfeifen.

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