Lisbeth Quartett: Nur keine Hektik
So dürfte es tagelang weitergehen: Spannung und Gelassenheit mit dem Lisbeth Quartett in der Romanfabrik.
Ihre Stücke, sagt Charlotte Greve, hätten zwar keine Texte, aber zumindest einige von ihnen würden doch von etwas handeln. Sie sagt das in einer Ansage zu dem Stück „Full Circling“, das ihr aktuelles Album eröffnet und im Konzert in der – randvollen – Frankfurter Romanfabrik in der Mitte des ersten Sets platziert ist. Und die Komposition „Opener“ steht natürlich nicht am Konzert-Auftakt, das wäre ja langweilig, irgendwie. Dass die Stücke von etwas handeln, merkt man der Musik, die Greve mit dem Lisbeth Quartett spielt, deutlich an. Sie hat einen durch und durch erzählerischen Gestus, und das Quartett vermittelt eine wohldurchdachte, sorgsam und in sensiblem Miteinander-Einklang gestaltete Textur.
Charlotte Greve spielt am Altsaxofon lange, melodisch fließende Soli, die sich nicht auf dramatische Höhepunkte hin zuspitzen, sondern differenziert und abwechslungsreich artikulierend erzählen, mit einer anhaltenden, wechselvollen Grundspannung. Manchmal aber sind es plötzlich keine improvisierten Passagen, sondern kristalline Unisono-Strecken mit Manuel Schmiedel am Klavier, bei denen der Saal die Ohren spitzt. Ihr Saxofon-Ton ist sanglich und lyrisch, ab und zu bricht sie kurz in bizarrere Intervalle und heftigere Artikulationen aus, aber der Fluss ihrer Erzählung wird dadurch nicht unterbrochen, sondern bereichert.
Sie hopsen nicht herum
All das findet statt im Rahmen eines kammermusikalischen Horizonts. Moritz Baumgärtner am Schlagzeug kümmert sich scheinbar nur nebenbei um Metren. Er konzentriert sich auf Klang, Verdichtung, Dynamik und kann sich auf Manuel Schmiedel, Klavier, und Marc Muellbauer am Bass verlassen, obwohl die beiden keineswegs auf Taktschwerpunkten oder Offbeats herumhopsen.
Schnell hat sich auf der Bühne eine Gelassenheit ausgebreitet, die auf der langjährigen gemeinsamen Erfahrung aufbaut, dass alles schon prima klappen wird und dass man sich ruhig mal mit ein paar Takten, Akkorden, rhythmischen Figuren, heftigen Schlägen, melodischen Exkursen oder dynamischen Überraschungen konfrontieren kann. Denn natürlich wird die gemeinsame Erzählarbeit nicht vom Blatt abgelesen, sondern im Augenblick und aus dem Augenblick heraus gestaltet und bekommt so einen intensiv lebhaften Charakter.
Eine angespannte Gelassenheit prägt den Auftritt des Lisbeth Quartetts. Das passt gut in eine Zeit, in der im öffentlichen Raum vieles eher zu Ausbrüchen und zur Panik tendiert. Gerade auch, wo die geografische Heimstätte der Band sich über zwei Moloch-Städte erstreckt: Berlin und New York. Nichts an dieser Musik evoziert expressionistische Assoziationen an Hektik und Nervosität der Großstadt. Die Band hat ein ganz eigenes Tempo und einen ganz eigenen kollektiven Ton gefunden, der von großer Unabhängigkeit charakterisiert ist. Das Klangbild erweckt das Gefühl einer tief gegründeten Balance und bleibt den Abend lang dabei.
Was dennoch geschieht: der zweite Set geht tiefer, leistet sich etwas mehr Exaltiertheit und Drama und entwickelt dabei einen noch stärkeren Magnetismus. Man hätte noch tagelang weiter zuhören können.
Aktuelle CD: Lisbeth Quartett, Release. Intakt Records / Harmonia Mundi.