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Leslie Feist: „Multitudes“ – Versionen einer Musikerin

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Von: Stefan Michalzik

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Die vielen Feists. Foto: Sara Melvin/Colby Richardson
Die vielen Feists. Foto: Sara Melvin/Colby Richardson © Sara Melvin/Colby Richardson

Leslie Feist und ihr sechstes, erstaunliches Album „Multitudes“.

Ist das tatsächlich das neue Album von Feist? Stimmt womöglich etwas mit dem CD-Player nicht? Doch, doch: es hat alles seine Richtigkeit.

Was für eine Wucht von einem wohlgefügten Chaos erst einmal, mit tiefwummrigen Trommelbeats und Chorschnipseln. Eine Verwirbelung des Klangs – bis dann die charakteristische Stimme von Leslie Feist in betörender Beschwingtheit einsetzt. „In Lighting“ ist ein Stück der ständigen Brüche und Wechsel, mit Streicherarrangements von Miguel Atwood-Ferguson, der unter anderem bereits für Flying Lotus und Mary J. Blige gearbeitet hat. Meilenweit entfernt ist das von der musikalisch verspielten Leichtigkeit des Songs „1234“, im Jahr 2007, seinerzeit ein Radiohit samt Einsatz in einem Werbespot für den iPod wie auch in der „Sesamstraße“.

Feist auf neuen Pfaden? Teils. Auf die Hitproduktion hat sich Leslie Feist ohnedies nie festlegen lassen, ihr Singer/Songwritertum war seit jeher musikalisch aufgeklärt. Umgekehrt sind nur einige der Songs auf „Multitudes“, ihrem sechsten Album, mit irritierenden Brüchen produziert, wie man sie von ihr noch nicht kennt. Da ist die Hand von Blake Mills zu erkennen, bekannt dafür, dass er Singer/Songwritern wie Conor Oberst, Fiona Apple und Perfume Genius ein offeneres musikalisches Feld erschließt.

Viele andere Nummern sind klassisch songwriterfolkpophaft mit wenig mehr als Stimme und akustischer Gitarre arrangiert. Mitunter taucht ein Chor auf, mit Leslie Feist selbst als gedoppelter Choristin, auf „Become the Earth“ phasenweise a cappella. Auf „Borrows Trouble“ bricht die Stimme in einen expressiven Schrei aus. Am Ende indes steht das Trostlied „Song For Sad Friends“. Die Melancholie bis hin zum Blick in Abgründe ist kein neues Phänomen bei Feist; der Typus, der darin badet, ist sie noch nie gewesen und auch heute nicht.

Das Album

Feist: Multitudes. Polydor/Universal.

„Multitudes“, die Titelnummer, steht für Leslie Feist für eine Verbindung mit der ganzen Menschheit – während wir tatsächlich unsere Leben nebeneinander führen. Das Wort tauchte in jüngerer Vergangenheit bereits bei Bob Dylan („I Contain Multitudes“, 2020) und bei dem belgischen Popstar Stromae („Multitude“, 2022) auf. Historisch hat es der Dichter Walt Whitman in seinem Poem „Song of Myself“ in die Dichtung der US-amerikanischen Moderne eingetragen, aus dem Dylan mit seinem Songtitel zitiert. Feist hat es im Zusammenhang mit der Isolation durch die Lockdowns aufgegriffen.

Einige der Songs hat Mocky in seiner lockerleichten Art produziert, Ausweis der anhaltenden freundschaftlichen wie künstlerischen Verbundenheit jener Kanadier, die Anfang der 2000er Jahre eine heute legendäre Wohngemeinschaft in Berlin bildeten und allesamt zu Ruhm gelangten (Peaches und Chilly Gonzales waren die beiden anderen in diesem Quartett).

Leslie Feists junge Mutterschaft mit einer Adoptivtochter spielte eine große Rolle beim Entstehen der Songs, zugleich starb Feists Vater. Auf der Plattenhülle ist die 47-Jährige, die nach Anfängen in einer Punkband Mitglied bei Broken Social Scene war, in mehrfacher Auffächerung abgebildet: Sie erläutert, sie habe sich als Person in der neuen Situation „in verschiedenen Versionen gleichzeitig“ zu verschiedenen Lebensphasen empfunden.

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