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Das Leben, kondensiert

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Von: Stefan Michalzik

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Die Spanier El Conde de Torrefiel ziehen im Mousonturm in den Bann.

Die Bühne ist in Dämmerlicht getaucht, eine minimalistisch-perkussive Musik ist zu hören. Mehr geschieht nicht, eine ganze Weile lang. Ein kontemplativer Moment, in den man sich augenblicklich hineingezogen fühlt.

Das Stück „La Plaza“ – Der Platz – von dem aus Barcelona stammenden Kollektiv El Conde de Torrefiel um Tanya Beyeler und Pablo Gisbert, erstmals im deutschsprachigen Raum gezeigt nun im Frankfurter Mousonturm, erzählt zunächst von einem vorgeblichen Theaterprojekt. Schriftzeilen, spanisch und deutsch, die einzige Stimme in diesem stummen Stück, erzählen von einer auf 365 Tage angelegten Simultanaufführung der Stille und der äußerlichen Ereignislosigkeit in 365 Städten der Erde, deren letzten Minuten wir gerade beigewohnt haben sollen.

Dann setzt eine Du-Erzählung um einen Besucher ein, der wieder in die Welt der großen Stadt eintaucht. Nun, eine halbe Stunde ist bis dahin vergangen, erscheinen muslimische Frauen mit ihren Einkäufen auf der Bühne, eine arabisch klingende Lautsprache wird eingeblendet. Die Gespräche, heißt es, verstehst du nicht, aber du gehst davon aus, dass es die gleichen wie überall sind, um Wetter, Arbeit und Vergangenheit. Ein Soldat mit Maschinenpistole im Anschlag patrouilliert. Es handelt sich offenkundig um eine westeuropäische Stadt im Zeichen der Bedrohung durch den islamistischen Terror; einmal ist die Rede davon, dass der nächste Genozid einer an Muslimen sein werde.

Gesichter haben die Figuren keine. Für die Individualität westlich aufgemachter Menschen in diesen Tableaux vivants – wiederum vor allem Frauen, weshalb so wenige Männer vorkommen, klärt sich nicht auf – stehen die schicken Frisuren (Perücken) und die modische Kleidung. Doch die Individualität ist fadenscheinig, zu austauschbar ist das Bild in allen Städten des Westens.

Nach einer Odyssee durch die nächtliche Stadt onaniert das erzählte Du zu einem Porno aus dem Internet – und stellt hernach fest, dass der Star bereits tot ist. Eine zeitgenössische Form der Darstellung des klassischen Motivs einer Verbindung von Eros und Tod. Von Zeitsouveränität ist die Rede und von der verlorenen Jugend. Es gibt Zukunftsvisionen wie jene von den Staaten, die offiziell von den Konzernen übernommen werden, Deutschland von Bayer, die USA von Google undsofort. Die Erdölvorräte werden aufgebraucht sein; Energie kommt von der Sonne, ein Ökoparadies aber ist das mitnichten.

Faszinierend zu erleben, wie sehr einen dieses Stück mit seiner kontemplativen Erzählweise in den Bann zu ziehen vermag. Der Text mäandert, dabei gelingen es Beyeler und Gisbert – von ihm stammt der Text, der Programmzettel weist eine gemeinschaftliche Entwicklung des Konzepts mit den 14 Spielerinnen und Spielern aus – ziemlich triftig, etwas vom Wesen des Lebens im frühen 21. Jahrhundert in kondensierte Form zu bringen. El Conde de Torrefiel werden als neue Lieblinge des europäischen Theaters gefeiert – nicht zu Unrecht.

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