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„Körpertreffer“ in Darmstadt: Aber wer spricht denn nun?

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Von: Marcus Hladek

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Im Raum lagernd: Die sieben „Körpertreffer“-Akteure.
Im Raum lagernd: Die sieben „Körpertreffer“-Akteure. © Nils Heck

Das reizvolle interdisziplinäre Projekt „Körpertreffer“ am Staatstheater Darmstadt.

Sieben Darsteller und Tänzer, nur eine Frau darunter, agieren in der Koproduktion der „CocoonDance Company“ und des Staatstheaters im Kammerspiel. Im Dreieckswinkel zum Publikum liegt das Septett da und zeigt zunächst nur seine Köpfe auf und unter schwarzem Tuch her, das sie als Kollektiv-Kostüm tragen. Bevor die knappe Stunde Spielzeit im Schein der Neonröhren um ist, werden wir die sieben in neutralen Kostümen von der Bluejeans zur Chinohose und gemusterten Hemden erleben, später in hellbunten T-Shirts, wie sie ihre pinguinesken Posen oder roboterhafte Abläufe durchlaufen und mit ihren Stimmen sowie der Klangwelt im Off spielen. Weißes Rauschen und repetitive Rhythmen geben den Teig ab, kleine Effekte, jazzige Bläser und tänzerische Bewegung die Rosinen.

Die Entstehung von „Körpertreffer“, einem Tanzstück ohne Figuren und Geschehensfaden, aus fünf Workshops als Trittsteinen klingt kompliziert. Textfetzen Lothar Kittsteins sind eingerührt wie konkrete Poesie mit Realitätsbrocken wie Zitronade: Mal ist da von den Windsors die Rede, mal von „Seinsmerkmalen“, „Pferdefresse“ oder „Hausboot“, was sich nie wirklich erschließt.

Im Ergebnis steht das Sprechmaterial auf einer Stufe mit Musik (Jörg Ritzenhoff), Video (Benjamin Weber), Bühne, Kostüm und Maske (Boris Kahnert, Florence Klotz, Karin Seiter). Hingegen leitet sich die strukturelle Inspiration nebst Titel vom Essay „Körpertreffer – Zur Ästhetik der nachpopulären Künste“ von Diedrich Diederichsen ab: Triumph des Metatextes. Regieassistenten werden benannt, aber kein Regisseur, denn die elektrisierende Oberleitung hat Rafaële Giovanola (Choreografie).

Glaubt man den Theatermachern, geht es ihnen um die Subversion der künstlerischen Absicht, weil vor Digitalisierung und Medialisierung, Posthumanismus, „Deep-Fake“-Gefahr und der im Labor widerlegten Willensfreiheit von Intention allzu wenig übrig ist. Ein großer Haufen Theorie-Schotter ist das, der 2017 absichtsvoll als Bewerbung um ein Förderprogramm startete.

Schiebt man all das zur Seite und lauscht allein auf die Szene, vermittelt sich ein großes „Wer spricht?“. So lautet die Ur-Theaterfrage aus der ersten „Hamlet“-Szene, die auch schon im Nebel stocherte. In „Körpertreffer“ mit seiner aufgespannten Gaze als Realitätsschleier für opake Transparenzen oder dunkle Aufklärung werden vor allem zwar die Akteure kollektiviert, anonymisiert, normalisiert.

Ihre Stimmen klingen, geschlossenen Auges, wie Stimmen im Kopf. Die Gesichter sichern keine Identitäten mehr, sie werden zum Spielzeug wie die williger Zuschauer, die sich im Foyer schwarze Gewandfetzen anlegten und vielleicht den Kopf in den Videokasten steckten, um im Saal wie Doctores dem Anatomischen Sezier-Theater beizuwohnen und nun Zeuge zu werden, wie es die eigenen, grimassierenden Gesichter regnet: regnet wie Hunde und Männer, Schneeflocken und Avatare, losgelöst vom alten Esel Körper, der en passant wegrationalisiert ist.

Die technische Spielerei der Wanderstimmen im Raum und schneienden Köpfe ist geschickt mit der aktuellen Welt technischer, philosophischer und sozialer Fragen verdrahtet. Gleichwohl bleibt ungeklärt, ob so viel Cyber-Rhetorik der Virtualisierung sich nicht auf das frühneuzeitliche „Wer spricht?“ zurückführt, einfach weil der Filter, unsere Menschlichkeit, als anthropologische Konstante recht träge ist. Was alles in allem mehr Anlass zur Hoffnung denn zur Verzweiflung geben mag.

Staatstheater Darmstadt, Kammerspiele: 27., 28. September. www.staatstheater-darmstadt.de

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