In Portugal. Ich lebe in England, aber ich besitze dieses kleine Haus in diesem kleinen Ort an der Algarve, oben in den Hügeln. Ich bin hier, so oft es mir die Zeit erlaubt. Hier kann ich entspannen, hier kann ich aber auch gut arbeiten. Ich habe mir in meinem Haus ein kleines Studio eingerichtet, und das Wetter ist eigentlich ununterbrochen mild. Die Gegend kann ich jedem alternden Rockstar nur empfehlen.
Warum Portugal?
Ein Zufall. Deep Purple waren eigentlich immer auf Tournee. Viele haben ja keine Vorstellung davon, was es bedeutet, permanent on the road zu sein. Man ist einfach nie zuhause. Man sieht auch die eigene Familie nicht. Also macht man das denkbar Beste aus den Verschnaufpausen. Ich habe meine Familie immer mit tollen Urlauben in der Karibik oder Spanien und schließlich Portugal für meine häufige Abwesenheit entschädigt. Portugal gefiel uns am Besten. Dort habe ich mir stets eine Villa gemietet, bis mich mein Manager vor zehn Jahren darauf aufmerksam machte, dass ich jedes Jahr so viel Geld für diese Portugalurlaube ausgebe, dass es sich glatt lohnen würde, dort ein Haus zu kaufen. Also wurde ich dort Immobilienbesitzer.
Sie haben ein gutes Verhältnis zu Ihrem Manager?
Absolut! Er heißt Phil Banfield, und er managt mich seit den späten siebziger Jahren. Er ist großartig und ein guter Freund. Er weiß, ob ich mir ein Haus leisten kann oder nicht.
Schätzen Sie die portugiesische Küche?
Ich bin ein Pragmatiker, was das Essen anbetrifft. Ich fürchte, in der Not esse ich alles. Die traditionelle portugiesische Küche mit ihrem salzigen Stockfisch ist nicht so mein Ding, aber an der Küste wird frisch gefangener Seefisch in all seinen Darreichungsformen geboten. Vor allem mag ich die kleinen Familienbetriebe in der Nähe meines Hauses, die eine einfache Küche anbieten. Man isst dort einfach das, was die Familie auch zum Mittag isst. Also Fischeintopf zum Beispiel, dazu Brot, Oliven und guten hausgemachten Käse. Das portugiesische Bier ist auch sehr zu empfehlen.
Ich frage, weil Miles Davis mal ein Album „Cookin’ with the Miles Davis Quintet“ betitelt hat. Viele Musiker berichten, dass das Komponieren eine große Ähnlichkeit mit der Methodik des Kochens haben kann.
Da muss ich Sie enttäuschen: Ich habe darüber noch nie nachgedacht. Ich habe jetzt über 500 Songs geschrieben — und nie spielte die Alchemie des Kochens dabei eine Rolle. Und auch wenn ich gutes Essen sehr zu schätzen weiß, so bin ich in dieser Beziehung doch eher prosaisch. Ich esse auch Knäckebrot oder was auch immer ich auf einer Tour zu essen gereicht bekomme. Die letzten fünfzig Jahre bin ich regelmäßig mit meinen jeweiligen Bands um die Welt gereist, und ich kann Ihnen versichern, dass ich auf diesen Tourneen teilweise das abscheulichste Essen serviert bekam. Das habe ich dann trotzdem gegessen, weil ich sonst zusammengebrochen wäre. Aber natürlich gab es immer wieder auch diese wunderbaren Momente, in denen ich unverhofft völlig neue Geschmäcker im Gaumen spürte — exquisite Weine, raffiniertes Essen...
Deep Purple gelten als erste Band, die im großen Stil auf Welttournee gegangen ist. In vielen Städten Südamerikas oder Asiens waren Deep Purple die jeweils erste Band aus dem Westen. Fühlten Sie sich wie Pioniere?
Sicherlich gehörten wir zu den Pionieren dessen, was man heute eine Welttournee nennt. Die frühen Tourneen habe ich mit Optimismus und Begeisterungsfähigkeit unbeschadet überleben können. Ich kenne Musiker, denen das Tourneeleben ein Gräuel ist. Ich hingegen kann mir heute nichts Schöneres auf Erden mehr vorstellen. Wir waren anfangs regelmäßig an Orten, die vor uns noch kein anderer Rockmusiker je bereist hatte. Wir sind durch die Sowjetunion getourt und haben als erste westliche Band Konzerte in tschetschenischen, dagestanischen, tadschikistanischen und in sibirischen Metropolen gegeben, im Uralgebirge und im sowjetischen Georgien. Wir waren auch die erste Gruppe, die in Japan und auch in vielen muslimischen Ländern gespielt hat. Zu allererst lernte ich auf diesen Reisen die jeweilige Kultur zu respektieren, in der ich mich bewegte.
Wie nah kamen Sie den Menschen, wenn Sie für damalige Zeiten so exotische Länder bereisten?
Natürlich war unser professioneller Fokus stets die nächste Show. Alles andere war dem Konzert untergeordnet. Das allein war abenteuerlich genug: Mangelhafte Elektrik, Sprachprobleme, vermisste Koffer mit Instrumenten — wir haben alle Dramen und Katastrophen erlebt. Aber abgesehen davon kamen wir immer wieder mit den unterschiedlichsten Menschen ins Gespräch.
Wie hat das Publikum in den verschiedenen Ländern auf Deep Purple reagiert?
Ganz unterschiedlich. Es gab damals in jedem Land ein anderes Protokoll, wie man sich als Publikum auf einem Konzert benimmt. Als wir das erste Mal in Japan tourten, war das Publikum ganz still, nachdem wir unseren ersten Song gespielt hatten. Niemand klatschte. Ich weiß noch, wie ich dachte: Die hassen uns! Aber dann begann einer zu klatschen, und Sekunden später klatschten alle. Es war, als sei ein Schalter umgelegt worden. Und genauso abrupt endete der Applaus. Völlig bizarr. Aber wenn man tiefenentspannt ist, erlebt man solche kulturellen Unterschiede schließlich als Bereicherung. Mir wurde durch das viele Reisen auch zunehmend klar: Alles ist relativ, zuhause ist alles ganz anders als überall woanders. Hüten wir uns also davor, von uns auf andere zu schließen! Es wäre gut, wenn alle Menschen diese Erfahrungen machten — dann hätten die Menschen weniger Angst vor dem Fremden.
Gibt es Routinen, wenn Sie mit Deep Purple touren?
Ich versuche stets, so viel wie möglich von neuen Städten und Ländern mitzubekommen. Ich habe auf diese Weise meine Off-Tage stets dazu benutzt, um Sehenswürdigkeiten zu besichtigen — den Grand Canyon in den USA, das Taj Mahal in Indien, den Kreml in Moskau oder den Fuji-Vulkan in Japan. Bei meiner zweiten Welttour habe ich dann alle Museen besucht, die mich interessiert haben. Und seit einigen Jahrzehnten versuche ich vor allem, stets so viele Freunde wie möglich wiederzusehen, die ich in den Städten und Ländern gewonnen habe. Für mich sind diese Touren tatsächlich die einzige Möglichkeit, diese Menschen wiederzusehen. Nicht zuletzt durch diese Begegnungen sind alle Tourneen von Deep Purple für mich erinnerlich.
Führen Sie auf Reisen eigentlich Tagebuch?
Ich führe ein professionelles Tagebuch, in dem alles notiert wird, was mit dem Reisen und den Auftritten zu tun hat. Und seit meiner Jugend schreibe ich manisch kleine Notizbücher voll. Von denen besitze ich mittlerweile Hunderte. Ich schreibe alle Dinge auf, die für mich eine Inspiration zu einem Song darstellen könnten. Songinhalte. Bruchstücke von Songtexten. Ich notiere auch, wie das Wetter war und welche Fernsehsendungen ich mir angeschaut habe — stets mit Angabe der Uhrzeit, des Senders und des Ortes. Hinzu kommt: Am Ende einer Tournee sind meine Koffer immer irrsinnig schwer, weil ich mir überall Bücher kaufe — über Theologie, die Wissenschaften, die Bücher von Stephen Hawking. Nur wenige Romane. Das hat sich seit der Einführung des Kindles ehrlich gesagt auch nur unwesentlich geändert. Ich trage heutzutage stets eine große Handbibliothek im Taschenformat mit mir herum, aber ich schleppe stets genauso viele Bücher wieder mit nach Hause.
Wenn die Tourneen für Sie ein solcher Quell der Inspiration sind — was ist dann die Funktion eines neuen Albums von Deep Purple? Brauchen Sie neue Songs zum Spielen?
Als Künstler muss ich expressiv bleiben. Songs zu schreiben ist eine Art Tätigkeit, mittels derer ich mich meiner selbst versichere, dass ich existiere. Fast immer speisen sie sich aus meinen kleinen Notizbüchern.
Einige Ihrer Songs — zum Beispiel „Child in Time“ — gelten als prototypische, genre-definierende Rocksongs. Kennen Sie die Formel für den perfekten Rock?
Puh! Als Jugendlicher dachte ich anders über Rockmusik als heute. Aber wenn Sie schon so fragen: „Child in Time“ ist sicherlich auch heute noch ein kraftvoller Song.
So kraftvoll, dass viele, mich inklusive, sich der Technomusik zugewandt haben.
Hahaha! Aber erlauben Sie mir folgende Anmerkung: Als der Song veröffentlicht wurde, gab es noch den Eisernen Vorhang, den Kalten Krieg und die Sowjetunion. Das Hören von westlicher Rockmusik, also auch der Musik von Deep Purple, war nicht erlaubt. Bis hin zu Russlands Präsident Medwedew habe ich über die Jahre von vielen Russen gehört, dass sie die englische Sprache mithilfe unserer Platten gelernt haben. Songs wie „Child in Time“ hätten ihnen klar gemacht, dass die Kinder auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs ebenso Kinder gewesen seien wie sie selbst.
Und das bedeutet?
Dass Musik eine friedens- und verständnisstiftende Komponente haben kann. Und selbst auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges hat das Bolschoi-Ballett in London Gastspiele gegeben. Aber gleichzeitig dürfen wir nicht vergessen, dass Deep Purple im Kern eine Instrumentalband ist. Die Musik kommt immer zuerst. Ich schaue also zu, wie die Musik sich Tag für Tag weiterentwickelt. Wenn wir aufnehmen, haben wir immer von 10 bis 18 Uhr Jamming Session. Um 15 Uhr machen wir Teepause. So baut sich die Musik täglich weiter auf, bis sich Songs herauskristallisieren. Erst dann füge ich meine Texte hinzu. Eigentlich haben wir von Anfang an so komponiert, seit 1969.
Reden Sie viel über die Musik in Ihrer Teepause?
Ehrlich gesagt reden wir so gut wie nie über die Musik. Wenn ich die Jungs mal zwischen zwei Tourstopps für sechs Monate nicht gesehen habe, dann ist das schon eine lange Zeit. Wir reden dann über unsere Hunde, unsere Autos, über unsere Familien und Kinder, aber nicht über Musik. Das hat einen einfachen Grund: Für die Jungs ist Musikmachen so selbstverständlich wie Sprechen.
Sie sind jetzt 72 Jahre alt, und die anstehende Tour trägt den Titel „The Long Goodbye“. Wird es Ihre letzte Tournee sein?
Wir haben natürlich über den richtigen Zeitpunkt des Aufhörens gesprochen. Wollen wir den Zeitpunkt unseres Abgangs selbst bestimmen? Oder warten wir, bis der nächste von uns gestorben ist? Es fühlt sich also ein wenig an, als ob es die letzte Tour sein könnte, aber keiner von uns wäre darüber wirklich glücklich. Also vertagen wir die Entscheidung. Noch haben wir ja bis ins nächste Jahr hinein ein paar Konzerte zu spielen. Es ist schwer, mit etwas aufzuhören, das man sein Leben lang praktiziert hat. Vielleicht ist es tatsächlich unsere letzte Welttournee? Aber klar ist auch, dass wir uns langsam auf den letzten Akkord vorbereiten. Wir wissen alle, dass es nicht mehr ewig weitergehen wird.
Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?
Sie stellen Fragen! Tatsächlich liegt eine meiner geistigen Lebensleistungen darin, dass ich den langen Weg vom Atheisten zum Gläubigen gegangen bin. Heute glaube ich an Gott. Ich habe vor nicht allzu langer Zeit ein Erweckungserlebnis gehabt, als mir klar geworden ist, dass wir Menschen Gott erschaffen haben — und nicht umgekehrt. Wir haben auch die Mythen und die Legenden erdacht. Das erklärt die ganzen Geheimnisse — wir haben sie uns alle ausgedacht. Als Kind habe ich den Priester immer gefragt, warum bestimmte Wunder in der Bibel stattgefunden haben, und er antwortete stets: „Hab Vertrauen, mein Sohn, die Wege des Herren sind unergründlich.“ Seit ich also an Gott glaube, weil ich begriffen habe, dass wir ihn erfunden haben, kann ich endlich entspannt und in Ruhe schlafen.
Interview: Max Dax