Julia Fischer solo in Frankfurt: Wie mit geschlossenen Lippen

Der Gipfel der Kunst: Julia Fischer spielt Bach in der Alten Oper Frankfurt.
Die jeweils drei Sonaten und Partiten für Violine solo Johann Sebastian Bachs zu spielen, kommt einem klingenden Manifest deutsch-italienischer Freundschaft gleich – hat der Meister der verinnerlichten und durchgearbeiteten Gestalt doch nicht nur hier das eher extravertierte, virtuos-musikantische Element des damaligen Trendsetter aus dem Süden, Antonio Vivaldi, zur Fermentierung des eigenen Klangstoffwechsels genutzt. Entschiedener als die Weise, wie Bach den Habitus der Musik des französischen Hofs integrierte. Bach wäre also auch ein Aspirant auf kerneuropäische Einigkeitstonalität gewesen ... .
Norden der Nord-Süd-Achse
Bei den Frankfurter Bachkonzerten trat jetzt Julia Fischer auf. Mit einer Darbietung der Sonaten Nr. 1 bis Nr. 3, was die musikalische Nord-Süd-Achse nicht so sehr betonte, wie es bei den dazuzählenden Partiten mit ihren zahlreichen Tanzformen der Fall gewesen wäre. Bei den Sonaten liegt der Schwerpunkt entschieden bei deutscher Konstruktivität, insbesondere in der vierstimmigen Nutzung des monodischen Kernklangs der Geige.
Fischers großer, fester und plastischer Ton, der nicht süffig wird und sich agogisch nicht bläht, ließ sich gut mit den beiden Attributen benennen, die Carl Philipp Emanuel Bach dem Geigenspiel seines Vaters gab: nämlich „rein und durchdringend“ zu sein. Ein schnörkelloser, ganz der Sache hingegebener Auftritt fand da im Großen Saal der Alten Oper Frankfurt statt: reines Können als Dienst ohne violinistische Dampfplauderei und ohne die Glasur pseudohafter Markenoriginalität.
Dass die sausenden Staccati, Sequenzierungen und intervallischen Läufe rasten, war geschenkt, das bekommt selbst ein trittsicherer Laie halbwegs hin. Aber die Fugen-Simulacra, wo auf allen vier Saiten gewissermaßen quadrupelgriffig gleichzeitig gespielt wird und die akustische Täuschung einer Linearität von vier fugenartig gesetzten Stimmen gelingt – das ist der Gipfel der Kunst. Bach selber ist das bei seinen Fugen in den Violinsonaten auch nicht immer so gut gelungen wie bei der dritten Sonate. Und hier war die Kunst der Julia Fischer regelrecht erschütternd.
Rhetorik braucht es nicht
Beeindruckend auch die Haltung mit der die 39-jährige Solistin die Gefasstheit in der versunkenen, unrhetorischen, wie mit geschlossenen Lippen geäußerten Artikulation Bachs zeigte: fast resignativ, jedenfalls ganz für sich und abgewendet von jeder geläufigen Ausdrucksdramaturgie.