„Johannes-Passion“: Fast im Kampfmodus
Ein aufgeweckter Pilatus und betörende Gewissens-Choräle begeistern bei Bachs Johannes-Passion.
Am instrumentalen Vorspiel des Einleitungschors zur Johannes-Passion Bachs entscheidet sich meist, was in den darauf folgenden zwei Stunden Ohr und Gemüt der Hörgemeinde beschäftigen wird.
Beim Auftritt der Frankfurter Kantorei unter ihrem Leiter Winfried Toll in der Heiliggeistkirche war der schwebend-disparate und mild affektive Duktus auffallend, der sich an den zentralen chorischen und solistischen Knotenpunkten der 1724 uraufgeführten Passion verstetigte. So etwa bei der aufgewühlten Tenor-Arie „Ach mein Sinn“ mit seiner herausgestellten aperiodischen Metrik in einer spezifisch zerrütteten und expressiven Tendenz. Oder in den bohrenden Holzbläsern beim Prozess vor Pontius Pilatus. Das gedämpfte Licht des Klangs in seiner thematisch passenden Beklommenheit war dabei die allgemeine Atmosphäre, die Toll mit souverän vermittelter Präzision bestimmte.
Dafür stand die sowohl gelockerte als auch homogene Artikulation von Frankfurter Kantorei und Camerata Frankfurt, trotz der ungünstigen Überakustik, die sich im Altarraum der Heiliggeistkirche bildet und alles bestimmt. Es braucht aber auch spezifische Solostimmen: einen engagierten Evangelisten und unangestrengten Tenor (Kieran Carrel); einen besonders in der „Es ist vollbracht“-Arie zur entschiedenen Versenkung in die gewagte Bindung zum mitempfundenen Abstieg in die Zone des Todes befähigten Alt, wie ihn Ulrike Malotta artikuliert.
Bezwingend war der Eindruck Manfred Bittners (Bass), der einen aufgeweckten und aggressiven Pontius Pilatus fast im Kampfmodus mit dem jesuanisch milden Bassbariton Markus Flaig darstellte. Als respondierende Stimme in den Frage-Antwort-Choral-Arien entfaltetet er zudem eine performative Stimm-Feinheit echt szenischer Qualität. Als Sopran wirkte die glockenhelle Stimme des jungen Philipp Mathmann, der gegenüber manch weiblicher Sopran ziemlich alt aussehen würde. Allerdings gab es hier noch manchmal etwas verwaschene und gehetzte Abläufe. Wunderbar wurden die Gewissens-Choräle gesungen. Als wichtige Rührungsbeihilfe hört man die meist verschämt im Geschwindmarsch absolvierten Bekenntnisse selten so intensiv. Und so wirkte jetzt auch die christologische Dialektik emphatisch: “Dein Kerker ist der Gnadenthron“, „Dein Gefängnis...uns die Freiheit“, „blutgefärbter Rücken... allerschönster Regenbogen“. Alles in einer unproklamatorischen, nicht gestanzten oder ratternden Klanglichkeit, die das Publikum begeisterte.